Kampf gegen Etikettenschwindel

Mehr Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln verspricht sich das Verbraucherschutzministerium vom Online-Portal lebensmittelklarheit.de. Wird es dem Anspruch genügen und dem Etikettenschwindel Einhalt gebieten können? Heute wurde das Online-Portal offiziell gestartet. Im Vorfeld hatte es diesbezüglich sowohl aus der Politik als auch seitens der Lebensmittelindustrie Kritik gehagelt – letztere befürchtet einen modernen Pranger. Bei dem Portal handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) sowie der Verbraucherzentralen.

Das Portal wird im Rahmen der Initiative „Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) entwickelt, betrieben und finanziert. Hauptziel ist es, Verbraucher über die Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln zu informieren: also die Verbraucher, die sich durch Produktaufmachungen wie Verpackungsgröße, unklare Herkunftsangaben oder die nicht deutlich und prominent dargestellte Verwendung von Ersatzstoffen getäuscht fühlen, Fragen zu konkreten Produkten zu beantworten und Raum für Diskussionen zu bieten.

Die Projektkoordination liegt in der Verantwortung des vzbv, zusätzlich sind alle Verbraucherzentralen auf Landesebene Ansprechpartner und unterstützen die Verbraucher mit ihren Erfahrungen. Janina Löbel, Projektkoordinatorin des Verbraucherportals, erläutert, dass dieses helfen soll, Lücken in der Kennzeichnung von Lebensmittelprodukten aufzudecken. Außerdem soll aufgezeigt werden, wo Handlungsbedarf bei der Verbesserung der gesetzlichen Regelungen besteht.

Bereits über 120 Beschwerden eingegangen

Bis zum heutigen offiziellen Start konnten Bürger bereits Produkte melden. Löbel berichtet, dass seit Bewilligung des Projekts im September 2010 über 120 Meldungen zu Produkten, bei denen es sich möglicherweise um Irreführungen handelt, eingingen (Stand: Mai 2011). Nicht alle Meldungen werden jedoch automatisch online gestellt. Sie werden zunächst einer fachlichen und thematischen Prüfung unterzogen. „Das Themenspektrum reicht von Aufmachungsthemen im Allgemeinen über gesundheitsbezogene Werbung, Imitate und Zusatzstoffe, Werbung mit Natürlichkeit bis hin zur zielgruppenspezifischen Werbung“, so Löbel.

Ein Konkurrenz-Portal?

Bereits seit einiger Zeit betreibt die von Thilo Bode im Jahr 2002 gegründete Organisation foodwatch das Portal abgespeist.de, um legalen Etikettenschwindel bei Lebensmittelprodukten aufzudecken. Dort werden Produkte und Hersteller beim Namen genannt und über Irreführung konkret informiert. abgespeist.de soll Verbrauchern, die sich getäuscht fühlen, eine direkte Möglichkeit geben, sich bei den Herstellern der Produkte zu beschweren. „Wir halten es für wichtig, dass die Unternehmen auch davon erfahren, wenn ihre Kunden sauer sind“, so Martin Rücker, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei foodwatch.

Auf die Frage, ob es Überschneidungen mit lebensmittelklarheit.de gebe, erwidert Janina Löbel, dass letzteres eher eine Diskussions- und Informationsplattform sein solle. Die Lebensmittelindustrie war in der Vergangenheit bereits auf Konfrontationskurs zu den Plänen eines solchen Verbraucherportals gegangen. So versuchte der Lobbyverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) anhand eines Rechtsgutachtens zu belegen, dass die Pläne zum Portal der Verbraucherzentralen rechtswidrig seien. In einer aktuellen Stellungnahme vom April 2011 machte der BLL jedoch deutlich, dass die Lebensmittelwirtschaft uneingeschränkt den Informationsteil und die Diskussionsplattform des geplanten Internetportals unterstütze. „Bei dem produktbezogenen Teil sehe die Branche aber nach wie vor die Gefahr einer ‘Anprangerung’ völlig rechtskonformer Produkte.“

Dem entgegnet Janina Löbel, dass das Online-Portal lebensmittelklarheit.de kein moderner „Pranger“ sei, auf welchem Anbieter nur mit Vorwürfen konfrontiert würden. Den Verbraucherzentralen sei es wichtig, zu konstruktiver Diskussion aufzurufen. Betroffene (Verbraucher) und „Verursacher“ (Anbieter) sollen zu Wort kommen. Zusätzlich soll jede Eingabe einer fachlichen Überprüfung und Einschätzung der Verbraucherzentrale unterzogen werden. Ziel sei es unter anderem, rasch und ohne großen Aufwand Produktkennzeichnungen oder –aufmachungen von den Herstellern selbst ändern zu lassen: Ebenso wolle man besser über Probleme bei Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln informieren. Damit sollen ein Beitrag zu einer erweiterten Entscheidungsgrundlage geleistet und Verbesserungen im Kennzeichnungsrecht erwirkt werden. „Beide Portale bedienen unseres Erachtens unterschiedliche Zielgruppen und verfolgen andere Ziele. Vielfalt auch an dieser Stelle belebt das Angebot für den Verbraucher und erhöht nicht zuletzt auch die Chancen auf Veränderungen“, so Löbel.

Kritik von foodwatch

foodwatch kritisierte kürzlich, dass lebensmittelklarheit.de selbst zum Etikettenschwindel werden könnte, weil in einem aktualisierten Konzept viele irreführend gekennzeichnete Produkte gar nicht namentlich veröffentlicht werden sollen – sondern anonym als “Dummys” ohne Hinweis auf Marke oder Hersteller. Auf diese Kritik angesprochen, erwidert Janina Löbel, dass der Verbraucherzentrale-Bundesverband niemals sein Konzept geändert habe. Es hätte, wie es bei der Ausgestaltung von Projekten häufig der Fall ist, lediglich Konkretisierungen und Differenzierungen der ersten Pläne gegeben. foodwatch bezieht sich in seinen Standpunkten auf das BMELV als Quelle. „Eine Absicherung dieser Informationen beim vzbv fand leider in der Art nie statt. Wir bedauern dies“, so Löbel.

Laut foodwatch würde eine solche Anonymisierung dem Zweck des Portals zuwider laufen. Denn Irreführung sei immer konkret: „Verbraucher fühlen sich von einem konkreten Produkt mit seiner konkreten Aufmachung oder Werbung getäuscht – also müssen diese Beispiele auch beim Namen genannt werden.“ Wenn ein Hersteller illegal arbeitet, also gegen Kennzeichnungsvorgaben verstoße, dann sei es die Aufgabe der Behörden, diese Produkte aus dem Handel zu nehmen, so Martin Rücker. Das Problem sei aber gerade, dass viele Fälle von Etikettenschwindel legal sind. Wenn beispielsweise Lebensmittelhersteller mit dem Hinweis „ohne Geschmacksverstärker“ werben, aber dennoch den Geschmacksverstärker Glutamat als Bestandteil der Zutat Hefeextrakt verwenden, dann empfänden das viele Verbraucher als Täuschung. Es sei aber legal, weil die Hersteller eine Gesetzeslücke ausnutzen – was am Umstand der Irreführung und damit für die Verbraucher nichts ändert. Es wäre absurd, solche Produkte nicht namentlich zu diskutieren.

Rücker dazu: „Wir haben deshalb frühzeitig davor gewarnt, das Portal nicht zur Farce verkommen zu lassen, um die Lebensmittelhersteller vor unliebsamen Diskussionen zu schützen. An dieser Warnung halten wir selbstverständlich fest.“ Im künftigen Online-Portal sollen laut Löbel die meisten Verbrauchermeldungen namentlich veröffentlicht werden. Lediglich dort, wo der Anbieter sich an geltendes Recht gehalten hat und keinerlei weiteres Täuschungspotenzial durch die Fachredaktion gesehen wird, würde man prüfen, ob eine anbieterneutrale Darstellung gewählt werden sollte. Hierbei sei die Veränderung der rechtlichen Grundlage und nicht die stellvertretende „Haftung“ eines Anbieters für die geltende Rechtslage das Ziel. „Derzeit betrifft dies jedoch nur einen Bruchteil der Verbrauchermeldungen, die bereits durch die Fachredaktion bewertet wurden.“

Der mögliche Mehrwert von lebensmittelklarheit.de

Neben der beschriebenen Kritik begrüßt es foodwatch ausdrücklich, dass das BMELV der Lebensmittelindustrie kaum verhohlen mit gesetzgeberischen Maßnahmen droht, sollte sich am systematischen Etikettenschwindel nichts ändern. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner erkenne dieses Problem mit dem Portal offiziell an und stufe es offenbar als so bedeutend ein, dass sich Aigner erstmals entscheidend mit der Lebensmittelindustrie und ihren Lobbyisten anlegt. Aus der Sicht von Rücker hat lebensmittelklarheit.de dann eine echte Chance, wenn dort die Diskussion über konkrete Produkte möglich wird und es die Politik zum Anlass nimmt, aus den Erkenntnissen auch konkrete Handlungen abzuleiten. Der Mehrwert könne vor allem indirekt entstehen: „Es werden sich nie alle Verbraucher vor dem Einkauf informieren – aber es werden alle davon profitieren, wenn die Politik die Lehren aus den Diskussionen auf dem Portal zieht und klare Vorgaben für eine verständliche und transparente Kennzeichnung von Lebensmitteln direkt auf dem Produkt macht“, resümiert Rücker treffend.

Fazit

Das Online-Portal abgespeist.de von foodwatch hat vor allem einen Kampagnencharakter. Dort werden konkrete Produkte samt Hersteller veröffentlicht, die auf einen vermeintlichen Etikettenschwindel zielen und diesen nach vorheriger Anfrage und Reklamation durch foodwatch nicht ausräumen (können). Dagegen wird lebensmittelklarheit.de eher eine Informationsplattform darstellen, auf der sich Verbraucher in Foren über vermeintliche Produktfälschungen und direkt mit den Herstellern betreffender Produkte konstruktiv austauschen können, um für die geforderte Klarheit und Wahrheit bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln zu sorgen.

Ein nachhaltiger Nutzen für alle Verbraucher wird jedoch nur dann entstehen, wenn tatsächlich, auch und gerade auf EU-Ebene, politische Konsequenzen aus den mit Etikettenschwindel gemachten Erkenntnissen resultieren. Beide Plattformen sind in dem Ziel vereint, auf nachweislichen Etikettenschwindel von Herstellern aufmerksam zu machen und diese zu mehr Transparenz und Klarheit zu drängen: Im Idealfall werden sich die Online-Portale gut ergänzen. Diese Art von Verbraucherschutz ist notwendig, da es immer wieder Hersteller gibt, die nach dem Motto verfahren: „Die Verpackung ist das Eine, der Inhalt das Andere!“

Dieser Beitrag wurde von mir auf politik-digital.de am 20.7.2011 erstveröffentlicht.