ABSTIMMUNG21 organisiert Volksabstimmung selbst

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(Mit Aktiven sammle ich Unterstützerinnen und Unterstützer für ABSTIMMUNG21 am Tempelhofer Feld in Berlin. | Foto by ABSTIMMUNG21 e.V. | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Insgesamt 344.556 Menschen haben in den vergangenen Monaten Abstimmungsunterlagen für die Teilnahme an ABSTIMMUNG21 angefordert – eine selbstorganisierte bundesweite Volksabstimmung. Diese erfreulich hohe Zahl wurde bei früheren Sammelaktionen für direkte Demokratie auf Bundesebene noch nicht erreicht. Am Tag der Bundestagswahl (26.9.) wurden die Zwischenergebnisse und am 4. November 2021 schließlich die finalen Zahlen im Rahmen einer Aktion zu den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP verkündet. Hinter der Kampagne stehen u.a. abgeordnetenwatch.de, Change.org, Expedition Grundeinkommen, Foodwatch, Fridays For Future, GermanZero, Mehr Demokratie (inkl. Partnerorganisationen) sowie openPetition.

Derzeit ist der von Mehr Demokratie angestoßene Bürgerrat in aller Munde. Das ist auch gut so! Ist es doch ein weiteres Instrument der Bürgerbeteiligung, das, wenn es richtig umgesetzt wird, eine ganz neue Form des politischen Diskurses ermöglicht. Nichtsdestotrotz brauchen wir auch ein Verfahren, das jeder Bürgerin und jedem Bürger ermöglicht, durch eigene Initiative ein Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen, über das die Bevölkerung direktdemokratisch und verbindlich abstimmen kann. Seit mehr als 30 Jahren setzt sich deshalb Mehr Demokratie für die Einführung der bundesweiten Volksabstimmung ein. Seitdem hat sich zwar auf Landes- und Kommunalebene hinsichtlich der Etablierung und des Ausbaus direktdemokratischer Verfahren sehr viel getan, jedoch fehlt weiterhin das Initiativrecht auf der Bundesebene.

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(Statement im „Bericht aus Berlin“ im Jahr 2013 bei einer Aktion mit Campact für die Volksabstimmung vor dem Konrad-Adenauer-Haus, wo die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD stattfanden. Hier klicken, um die obige ARD-Sendung auf YouTube anzuschauen)

Im Jahr 2013 hatten wir seitens Mehr Demokratie ein großes zivilgesellschaftliches Bündnis geschmiedet sowie eine intensive, mehrmonatige Kampagne zur Einführung der bundesweiten Volksabstimmung durchgeführt. Wir glaubten, sehr nah dran zu sein. Und tatsächlich einigten sich zu den Koalitionsverhandlungen CSU und SPD auf einen gemeinsamen Vorschlag – am Ende scheiterte dieser jedoch an der Blockadehaltung der CDU. Aber sicherlich auch daran, dass das Thema „Bundesweite Volksabstimmung“ für die anderen beiden Parteien nicht das wichtigste gewesen war.

Auch zur Bundestagswahl 2017 stemmten wir wieder eine größere Kampagne. Dieses Mal einigten sich CDU/CSU und SPD schließlich darauf, im Koalitionsvertrag folgende Vereinbarung festzuschreiben: „Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann. Zudem sollen Vorschläge zur Stärkung demokratischer Prozesse erarbeitet werden.“

Doch dieses Gremium wurde leider nicht eingesetzt.

Immer wieder bestätigen repräsentative Umfragen, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung bundesweit über richtungsweisende politische Themen abstimmen wollen. Auch die Empfehlungen des von Mehr Demokratie und Schöpflin Stiftung im Jahr 2019 veranstalteten „Bürgerrat Demokratie“ waren eindeutig: 94 Prozent der Teilnehmenden (148 von 157) befürworteten, dass eine bundesweite Volksabstimmung per Initiative aus der Bevölkerung eingeleitet werden kann. Genug Rückenwind also für eine weitere Kampagne!

ABSTIMMUNG21 – ein neuer Anlauf mit anderem Ansatz

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(Aktion vor dem Bundestag | Foto by ABSTIMMUNG21 e.V. | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Mit ABSTIMMUNG21 sind wir nun einen neuen Weg gegangen, um das Initiativrecht auf Bundesebene zu erwirken: Wir haben die Volksabstimmung einfach selbst organisiert – wobei diese natürlich unverbindlich gewesen ist, da sie eben noch nicht gesetzlich geregelt wurde. ABSTIMMUNG21 wurde u.a. von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Abgeordnetenwatch.de, Change.org, Expedition Grundeinkommen, Foodwatch, Fridays For Future, GermanZero, Mehr Demokratie und seinen Partnerorganisationen sowie openPetition getragen.

Zu den vier Abstimmungsthemen gehörten:

  • Widerspruchsregelung bei der Organspende
  • Keine Profite mit Krankenhäusern
  • Volksabstimmung auf Bundesebene
  • Klimawende 1,5 Grad

rbb-Bericht zur Aktion vor dem Bundestag am 5. August 2021
YouTube-Video anschauen: https://youtu.be/OvnHlzfkqGI

Sage und schreibe 344.556 Menschen haben sich bis Anfang September 2021 für die Teilnahme an der Volksabstimmung registriert! Ihnen wurden die Abstimmungsunterlagen von einer damit beauftragten Druckerei per Post zugeschickt, da es sich bei ABSTIMMUNG21 um eine reine Briefwahl handelte.

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(Schnappschuss aus dem ABSTIMMUNG21-Kampagnenbüro mit der Gesamtzahl der Bestellungen für die Teilnahme an der Volksabstimmung. | Foto by ABSTIMMUNG21 e.V. | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Im September und Oktober wurden die Stimmzettel ausgezählt, die im Berliner Kampagnenbüro von ABSTIMMUNG21 auf dem Gelände der Berliner Union-Film (BUFA) eingegangen waren. Der Rücklauf war so groß, dass bis zum Schluss noch täglich zehntausende neue Stimmbriefe reingeflattert sind!

Am Tag der Bundestagswahl (26.9.) hat das ABSTIMMUNG21-Bündnis auf dem Gelände der Berliner Union Film (BUFA) im Rahmen einer Veranstaltung die Zwischenergebnisse feierlich bekanntgegeben. Übrigens: Am selben Ort fand parallel auch die Abschlussveranstaltung des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ statt. Die zwei Initiativen hatten sich zuvor miteinander über die gemeinsame Nutzung der Fläche abgestimmt.

Hier Impressionen von der Veranstaltung:

(Fotos by ABSTIMMUNG21 e.V. | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Am 4. November 2021 wurden schließlich die endgültigen Ergebnisse von ABSTIMMUNG21 im Zuge einer öffentlichkeitswirksamen Aktion in Berlin zu den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP präsentiert. 

Fotos von der Aktion:

(Fotos by ABSTIMMUNG21 e.V. | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Von den 344.556 Menschen, die sich für ABSTIMMUNG21 angemeldet hatten, schickten 160.076 ihre Stimmbriefe zurück. Hier die Ergebnisse:

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Natürlich sind die Zahlen nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Jedoch ist erfreulich, wie viele Menschen zur Teilnahme an ABSTIMMUNG21 motiviert werden konnten.

Studie zu direktdemokratischen Verfahren

Das von Mehr Demokratie präferierte dreistufige direktdemokratische Verfahren mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid gibt es bereits auf Länderebene und hat sich dort als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie seit Jahrzehnten in der Praxis gut bewährt.

Natürlich ist die bundesweite Volksabstimmung nicht ein Allheilmittel und bringt nicht die Lösung für alle Probleme. Aber wenn sie fair und gut geregelt wird, kann sie mehr Menschen an politischen Entscheidungsprozessen konstruktiv beteiligen und ein Frustschutzmittel für diejenigen sein, die verbindlich unser politisches Gemeinwesen mitgestalten wollen.

Das bestätigt auch eine an der Goethe-Universität Frankfurt am Main erstellte Studie, die das Thema Ungleichheit und Direkte Demokratie in Demokratien zwischen 1990 und 2015 untersucht hatte. Das Ergebnis: Direktdemokratische Verfahren sind eher gleichheitsfördernd und ermöglichen es gut, mehr Menschen an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Zitat: „Direktdemokratische (Gesetzes-)Vorlagen zur sozialen, politischen oder rechtlichen Gleichheit zielen in der Mehrheit darauf ab, Ungleichheit in der Gesellschaft zu beseitigen und Gleichheit auszubauen. Dies besagt eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie des Projektteams um Prof. Dr. Brigitte Geißel, Anna Krämling und Lars Paulus. Dafür hat das Team mehr als 500 direktdemokratische Verfahren nicht nur in europäischen Demokratien zwischen 1990 und 2015 untersucht.“
(-> Hier weitere Infos)

Untermauert wird diese Studie beispielsweise mit dem Verfassungsreferendum in Irland aus dem Jahr 2018. Dort hatte die Bevölkerung direktdemokratisch entschieden, dass der 1983 eingeführte und 1992 ergänzte Artikel 40.3.3 der Verfassung geändert und Schwangerschaftsabbrüche zukünftig unter bestimmten Bedingungen möglich sein sollen.
(-> Hier mein Bericht)

Ausgestaltung von direkter Demokratie auf Bundesebene

Bei einer von Mehr Demokratie präferierten direkten Demokratie auf Bundesebene wären alle Fragestellungen zugelassen, mit denen sich auch der Bundestag befassen kann. Die bundesweite Volksabstimmung würde monatelange Debatten beinhalten und in der Regel ein bis zwei Jahre dauern, bis es zu einer Entscheidung kommt. In dieser Zeit hätten alle Seiten die Gelegenheit, im öffentlichen Diskurs ihre Argumente miteinander auszutauschen. Darüber hinaus erhielte jeder Haushalt vor dem Gang zur Urne eine Abstimmungsbroschüre mit der Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können. All das würde die Bevölkerung in die Lage versetzen, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Themen und Initiativen, die Grund- oder Minderheitenrechte einschränken wollen, wären dagegen ausgeschlossen.

Ich erhoffe mir, dass das ambitionierte Projekt ABSTIMMUNG21, das ich von seinen Anfängen im Jahr 2020 bis zum Höhepunkt in diesen Tagen ehrenamtlich unterstützt habe, diese politische Forderung nach direkter Demokratie auf Bundesebene stärken wird. Ganz wichtig wird es jetzt sein, eine kritische und ehrliche Auswertung von ABSTIMMUNG21 vorzunehmen: Was lief gut, wo gibt es Verbesserungsbedarf? Welche Reaktionen gibt es aus Politik und Öffentlichkeit? Soll das Projekt fortgeführt werden – und wenn ja, in welcher Form? Wir werden sehen, inwieweit es ABSTIMMUNG21 gelingt, uns der Einführung der bundesweiten Volksabstimmung näher zu bringen.