Die Wurzeln des Skandals beim Bundesnachrichtendienst

Der Bundesnachrichtendienst (BND) unterstützte US-amerikanische Geheimdienste bei der Ausspähung europäischer und deutscher Firmen. Auch wenn die Aufarbeitung gerade erst begonnen hat – klar dürfte bereits sein, dass der BND damit wissentlich Deutschland und Europa geschadet hat. Dieser neue Geheimdienstskandal hat im politischen Berlin eingeschlagen wie eine Bombe. Doch er ist nur ein Glied in einer langen Kette von Skandalen, die wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges bilden.

Führen wir uns noch einmal ganz klar vor Augen, was passiert ist. Der deutsche Auslandsgeheimdienst betreibt für die USA Wirtschaftsspionage gegen europäische und deutsche Unternehmen. Noch wird aufgearbeitet, wer, wann, was wusste. So scheint das Kanzleramt nach ersten Erkenntnissen bereits 2008 über diese Probleme unterrichtet worden zu sein.

Selbst Leute, denen Bürgerrechte wie Privatsphäre ziemlich egal sind, dürften spätestens jetzt die Gefahren begreifen. Deutsche Geheimdienste und die Deutsche Regierung möchten von dem Überwachungsapparat der USA profitieren, doch dabei haben sie sich selbst verraten. Denn der Überwachungswahn schadet nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern auch unserer Demokratie. Alle Verantwortlichen für diese Vorgänge müssen zurücktreten, doch die eigentliche Frage ist: Was ist los mit dem Bundesnachrichtendienst, dass er so offensichtlich gegen deutsche Interessen handelt? Ist er völlig außer Kontrolle geraten oder folgt er weiter einer dunklen Traditionslinie, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreicht?

Nach dem 2. Weltkrieg gründete die US-amerikanische Besatzungsbehörde 1946 die Organisation Gehlen. Der Chef dieses Geheimdienstes wurde der Nationalsozialist und ehemalige Generalmajor Reinhard Gehlen. Für Nazideutschland hatte Gehlen die Aufklärungsabteilung “Fremde Heere Ost” geleitet. Diese arbeitete nach der Maxime „Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenüber den Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln.“ Sein Wissen über die Sowjetunion machte ihn nach dem Kriegsende für die USA interessant. Bereits vor Kriegsende hatte er große Mengen an Geheimdienstunterlagen über Osteuropa versteckt. Damit erkaufte er sich das Wollwollen der US-Geheimdienste.

Mit seinen alten Mitarbeitern von “Fremde Heere Ost” baute er für die USA die Organisation Gehlen auf. Daraus wurde 1956 der Bundesnachrichtendienst, doch die enge Verbindung zu den US-Geheimdiensten blieb bestehen. In der Anfangszeit wurde jedem leitenden Mitarbeiter ein CIA-Agent zugeteilt. Auch über ein gemeinsames Lagezentrum war die CIA immer im Bilde. Für den BND waren auch zahlreiche Kriegsverbrecher tätig, wie Klaus Barbie und Alois Brunner. Noch um 1970 waren rund 30 % der Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder, darunter besonders in Führungspositionen zahlreiche Mitglieder von Organisationen wie SS oder Gestapo. Seit 2006 kam das Thema bei einer Aufarbeitung der Vergangenheit des BND auf. 2007 wurden zahlreiche Personalakten und Dokumente des BND vernichtet, die für eine gründliche Aufarbeitung wichtig gewesen wären. Wie schon beim Verfassungsschutz (siehe NSU-Untersuchungsausschüsse) wird Aufklärungsarbeit auch hier immer wieder sabotiert.

Kontrolliert wird der Bundesnachrichtendienst nominell vom Parlamentarischen Kontrollgremium. Doch dabei stützen sie sich nur auf die Informationen, die sie vom BND selber erhalten. Viele Sachen sind selbst für das Kontrollgremium geheim, darunter sehr oft Details über die Kooperation mit anderen Geheimdiensten. Der Bundesnachrichtendienst folgt oft seinen eigenen Prioritäten. Die Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten scheint dabei manchmal wichtiger zu sein als die Politik der Bundesregierung. Als Bundeskanzler Schröder den US-Einmarsch in den Irak ablehnte, hielt das den BND von einer strategischen Unterstützung des Krieges durch die Agenten vor Ort nicht ab. So spähten in Bagdad mindestens zwei Agenten des BND für die USA Bombenziele aus. Von einem ehemaligen Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums heißt es dazu sinngemäß: Für die offensive US-amerikanische Kriegsführung ist die deutsche Unterstützung sehr wichtig gewesen. Das Kanzleramt soll darüber informiert worden sein, doch der Skandal bleibt bestehen.

Wie ist es mit der Demokratie in Einklang zu bringen, wenn Geheimdienste einen Angriffskrieg unterstützen, der offiziell vom eigenen Land abgelehnt wird? Solche Aktionen untergraben die Demokratie und die Schuldigen (auch aus der Politik) gehören zur Verantwortung gezogen. Vom 2. bis 4. Juli 1999 feierten die CIA und der BND drei Tage lang ihre fünfzigjährige enge Zusammenarbeit. Insofern ist der aktuelle Skandal eigentlich kaum überraschend. Die Kooperation mit den US-Geheimdiensten ist viel zu eng. Trotzdem werben diese auch in Deutschland immer wieder eigene Agenten an, getreu dem Motto: Zusammenarbeit ist gut, Kontrolle ist besser.

Die Snowden-Enthüllungen haben die ganze Gefährlichkeit des US-Überwachungswahns aufgezeigt. Doch auch hier haben deutsche Geheimdienste und Bundesregierung versucht, den Skandal klein zu halten. Die Kooperation mit den USA wurde als wichtiger betrachtet als der Schutz der Bevölkerung vor US-amerikanischen Spähangriffen. Erst als auch Merkels Handy überwacht wurde, gab es eine nennenswerte, wenn auch lächerlich schwache Reaktion. Statt einer engen Kooperation sollte man endlich an wirksamen Gegenstrategien arbeiten. Der Bundesnachrichtendienst braucht außerdem, wie auch der  Verfassungsschutz, eine sehr viel wirksamere parlamentarische Kontrolle. Geheimdienste dürfen eben nicht zum Staat im Staate werden, der seine eigene Politik betreibt.

Quellen: