(José Mujica | Foto by Marcos Oliveira/Agência Senado | Bildbeschreibung: Solenidades. Homenagens | Quelle: Flickr | Lizenz: CC BY 2.0)
Er gehörte wohl zu den ungewöhnlichsten Staatsführern der Welt: José Alberto Mujica Cordano, der ehemalige Präsident von Uruguay. Und das liegt nicht nur daran, dass er über 90 Prozent seines Gehalts spendete.
Der bescheidene und bodenständige Politiker beendete am 1. März seine Amtszeit. Ein guter Anlass, um einen der ungewöhnlichsten Politiker einmal genauer vorzustellen. Mit einer linken, aber auch sehr pragmatischen Politik hat er Uruguay vorangebracht. Doch auch außerhalb seines Landes sorgte er für Schlagzeilen – wie mit seiner berühmt gewordenen kapitalismuskritischen Rede vor der UN-Vollversammlung:
„Wir haben die alten immateriellen Götter geopfert, und nun beanspruchen wir die Tempel des Markt-Gottes. Ein Gott, der unsere Wirtschaft organisiert, unsere Politik, unsere Gewohnheiten, unser Leben; der uns sogar mit Kreditkarten und Preislisten ausstattet und uns mit dem Schein von Glück versorgt. Es scheint, als wären wir nur zum Konsumieren geboren und wenn wir nicht mehr konsumieren können, haben wir das Gefühl von Frustration, leiden an Armut und sind ausgegrenzt.“
Sein Lebensstil ist ein deutliches Statement gegen den Konsum. Sein Gehalt als Präsident betrug 12.500 Dollar, doch davon hat er nur knapp 10 Prozent einbehalten. Das entspricht in etwa dem Durchschnittseinkommen in Uruguay. Den Rest hat er an Nichtregierungsorganisationen und kleine Unternehmen gespendet. José Mujica sieht nicht ein, warum er mehr bekommen sollte als ein normaler Bürger seines Landes. Er lebt bescheiden auf einem kleinen Bauernhof, den er zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet (Wohnfläche: 40 m²). Er betätigt sich dort als Blumenzüchter und wird meist von seiner dreibeinigen Hündin Manuela begleitet. Privat fährt Mujica einen alten VW-Käfer. Doch natürlich hatte er auch einen Dienstwagen – einen Opel Corsa.
In der Bevölkerung ist er sehr beliebt, er ist einer von ihnen, ein Mann des Volkes. Er zeigt, dass Besitz nicht der Maßstab aller Dinge ist. International beachtet wurde die Legalisierung des Anbaus und Verkaufs von Cannabis, natürlich unter strengen Auflagen. Dafür wurde José Mujica für den Friedensnobelpreis nominiert. Wer sich über diesen Zusammenhang wundert, muss nur einen Blick auf den blutigen Drogenkrieg in Mexiko werfen (mit über 20.000 Toten jedes Jahr). Jetzt, am Ende seiner Amtszeit, kann er auf erfolgreiche Jahre für Uruguay zurückblicken. Dabei sah es anfangs nicht danach aus, dass er einmal Präsident des Landes werden könnte. Sein Vater war ein baskischer Einwanderer, der sich politisch engagierte und mehrmals in das Amt des Ädils gewählt wurde. Mujica engagierte sich anfangs bei der etablierten und konservativen Partido Nacional, einer der damals zwei großen Parteien Uruguays. Doch Uruguay geriet ab 1959 in eine große wirtschaftliche Krise mit hoher Inflation und wachsenden sozialen Spannungen.
Mitte der Sechzigerjahre gründete Mujica mit anderen die linke Bewegung der Tupamaros. Der Name leitet sich ab von einem Inkaherrscher, der einen großen Aufstand gegen die spanischen Kolonialherren in Peru angeführt hatte. Sie agierte in den 1960er-Jahren vor allem als politische Bewegung, die anfangs Gewalt ablehnte, organisierte den gewerkschaftlichen Widerstand und deckte mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen Korruption auf. Darauf reagierte die Regierung mit aller Härte: Notstandsgesetze, politisch motivierte Festnahmen, Folter und die gewaltsame Niederschlagung von Arbeiterprotesten waren an der Tagesordnung. Dabei erhielt die Regierung von Uruguay Unterstützung durch die verbündeten USA (aktiv war hier z.B. die CIA, die unter anderem die lokalen Sicherheitskräfte in Verhörmethoden inklusive Elektroschocks ausbildete). Diese Maßnahmen führten zur Radikalisierung der Tupamaros, die mit Entführungen und vereinzelten Anschlägen zurückschlugen. Die Armee besiegte letztlich die Tupamaros und schaffte dabei auch gleich die letzten Reste der Demokratie ab. José Mujica verbrachte vierzehn Jahre hinter Gittern, den Großteil der Zeit in Einzelhaft. Jahrelang wurden ihm selbst simpelste Sachen, wie das Duschen oder das Lesen von Büchern, verwehrt. Erst nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 konnte er das Gefängnis endlich verlassen.
Die Tupamaros wurden jetzt wieder eine normale politische Bewegung. Im Bündnis „Frente Amplio“ mit rund 40 anderen linken Parteien, Gewerkschaften und Verbänden konnten sie politisch große Erfolge erzielen. Ende 2004 gewann das Parteienbündnis die Wahlen und José Mujica wurde von 2005 bis 2008 Landwirtschaftsminister. Nach dem Sieg bei den späteren Präsidentschaftswahlen wurde er 2010 zum Staatsoberhaupt. Als Präsident agierte er sowohl links als auch pragmatisch. Staatsbetriebe wurden privatisiert, die Sozialversicherungen vorsichtig liberalisiert, doch immer mit sozialem Augenmaß. Seit dem Wahlsieg von Frente Amplio 2004 konnte die Arbeitslosigkeit drastisch gesenkt werden (von 15 auf 5 Prozent). Auch die Korruption wurde verringert: Uruguay steht aktuell auf Platz 21 im Antikorruptionsindex und damit beispielsweise vor Frankreich und Österreich.
Das Land ist ein ausgeprägter Sozialstaat, der viele Probleme anderer südamerikanischer Staaten auffangen konnte. Deswegen hat Uruguay auch eine erstaunlich niedrige Kriminalität. Die katholische Kirche hat in Uruguay traditionell relativ wenig Einfluss. Das erklärt auch, wie der bekennende Atheist José Mujica Präsident werden konnte. In seiner Präsidentschaft wurde die Homo-Ehe legalisiert und das Abtreibungsverbot aufgehoben. Am 1. März endete seine Amtszeit. Die Präsidentschaftswahlen hat ein Parteifreund von ihm gewonnen, Tabaré Vázquez. Uruguay wird den aktuellen Kurs also wohl noch eine ganze Weile beibehalten.
José Mujica möchte sich zukünftig vor allem für eine stärkere Zusammenarbeit der südamerikanischen Länder einsetzen, vergleichbar mit der Europäischen Union. Doch das „Mehr“ an Zeit will er auch für die Dinge nutzen, die ihm persönlich wichtig sind – wie lange Spaziergänge und Traktor fahren.
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