Papst Franziskus überrascht die Welt mit einer Offenheit, wie man sie an der Spitze der katholischen Kirche lange nicht sah. Bescheidenheit, Demut und Glaubensstrenge, kombiniert mit einem äußerst pragmatischen Ansatz zeichnen ihn aus. Damit steht der Jesuit in der langen Tradition seines Ordens.
Als sich der Jesuiten-Orden 1534 gegründet hatte, verbreitete sich gerade die Reformation wie ein Lauffeuer durch Europa. Der im Mittelalter noch fast allmächtigen katholischen Kirche drohte der Untergang. Ob Süddeutschland, Norditalien, Frankreich oder Spanien – überall schien der Siegeszug der Reformation kaum noch aufzuhalten. Die Jesuiten hatten entscheidenden Anteil daran, die Reformation zurückzudrängen. Ignatius von Loyola gründete den Orden, der sich als Speerspitze des Katholizismus betrachtete. Hochgebildet und militärisch streng organisiert schafften sie etwas, woran andere scheiterten. Direkt dem Papst unterstellt, waren sie die schärfste Waffe gegen die, aus Sicht der Kirche, gefährlichen Häresien. Scheinbar klar protestantische Gebiete wurden plötzlich wieder katholisch.
Die Jesuiten betätigten sich als Theaterregisseure und Lehrer (siehe mein Hintergrundartikel: Der Jesuitenstaat – ein reales Utopia?). Bescheiden im Auftreten, waren sie hart in der Sache. Sie zeigten sich dabei auch sehr flexibel. Sie unterstützten Volksbewegungen gegen Könige, aber auch Könige gegen ihr Volk. Solange es nur gut für den Katholizismus war.
Ihre Schulen genossen einen erstklassigen Ruf. Sogar protestantische Fürsten schickten ihre Söhne dorthin. Auch heute noch sind viele Jesuiten an Universitäten und Schulen tätig. Sehr erfolgreich betätigten sie sich auch als Missionare. Sie waren dabei aus einem einfachen Grund oft erfolgreicher als andere Orden: Sie ließen sich auf das Land und die Leute ein und lernten die Landessprachen und Sitten des jeweiligen Landes kennen.
Die Jesuiten hörten erst zu und gingen auch scheinbare Umwege. So machten sie sich am chinesischen Hof erst einen Ruf als ausgezeichnete Mathematiker und Erfinder. Dann erst fingen sie mit einer vorsichtigen Missionierung an. Mit dem „Jesuitenstaat“ in Südamerika schufen sie einen eindrucksvollen religiös-kommunistischen Musterstaat. Doch ihre vielleicht wichtigste Herausforderung war die Reformierung der Kirche im Inneren. Die Kirchenfürsten waren damals weitgehend korrupt und lebten im Luxus. Der Sittenverfall in Klöstern und kirchlichen Einrichtungen beschädigte das Ansehen der Kirche. Auch aktuell ein Thema, wie der Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst beweist, der sich eine Luxusresidenz errichten ließ.
Mit rund 460 Millionen Euro unterstützt Deutschland jedes Jahr die katholische Kirche, zu einem Großteil aufgrund uralter Verträge von 1803. Die Jesuiten haben, anders als viele andere katholische Orden, das persönliche Armutsgelübde immer ernst genommen. Sie drängten auch in der Kirche auf Reformen. Dabei versuchen sie katholische Dogmen und Pragmatismus miteinander zu verbinden. Eine Gratwanderung, die ihnen schon viel Kritik eingebracht hat. Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt der erste Jesuit zum Papst geworden ist. Die Kirche ist in einer schwierigen Situation.
Die Säkularisierung des Westens und freikirchliche Gruppierungen in Südamerika – die Kirche steht an verschiedenen Fronten unter massivem Druck. Viele Dogmen wirken für einen aufgeklärten Menschen bestenfalls noch antiquiert: seien es die Stellung der Frau, Homosexualität, Verhütung oder Zölibat. Und die aufgedeckten Missbrauchsfälle haben die katholische Kirche schwer erschüttert. Die Kirche ist in der Krise.
Ein Jesuit als Papst ist eigentlich eine undenkbare Kombination. Der Orden dient dem Papst, er stellt ihn aber nicht selbst. Dass die Kardinäle einen Jesuiten gewählt haben, ist ein klarer Auftrag an den neuen Papst und er scheint ihn ernst zu nehmen. Die Kirche wird sich öffnen, soweit es notwendig erscheint, doch sehr wahrscheinlich weniger als viele hoffen. Trotzdem hat Franziskus im Sinne der Kirche schon jetzt mehr erreicht als Josef Ratzinger in seinem ganzen Pontifikat. Er geht auf die Menschen zu. Franziskus kombiniert Glaubensstrenge mit pragmatischer Offenheit, ganz im Sinne der jesuitischen Tradition. Er zeigt, dass mit der katholischen Kirche immer noch zu rechnen ist.