Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
__2.1 Die antike Persönlichkeit Platon
__2.2 Siebter Brief
__2.3 Politeia
__2.4 Demokratiebegriff und Demokratie-Kritik
__2.5 Ursachen für Platons Demokratiekritik
3. Schlussbemerkung
4. Quellen- und Literaturverzeichnis_
In diesem Beitrag möchte ich herausarbeiten, was Platon zum Kritiker der Demokratie werden ließ und was er unter dem Demokratiebegriff verstand. Damit verbunden wird zu hinterfragen sein, was Platon im hohen Alter, rückblickend auf die Zeit, in der er etwa 30 Jahre alt war, in dem ihm zugerechneten Siebten Brief zu dem Bekenntnis trieb, „daß es ihm nach all den Erfahrungen, die er in den vorangegangenen Jahren mit Athen gemacht hatte, >>zuletzt geschwindelt<< habe“[1] und er „das Gemeinwesen in vollständiger Verwirrung“[2] sah. Denn gerade die schlechten Erfahrungen mit der attischen Demokratie waren wohl die Grundlage für seine später ausformulierte Demokratie-Kritik. Hinsichtlich des aktuellen Forschungsstandes bei der Auseinandersetzung mit der attischen Demokratie fällt ins Auge, dass diese in den letzten Jahrzehnten „ein Zentrum des Interesses der althistorischen Forschung“[3] bildete und „nicht nur eine Abkehr von der üblichen negativen Sicht der Poliswelt des 4. Jhs., sondern auch eine vorsichtige positive Neubewertung der Demokratie in Athen“[4] stattfand. Dagegen beschränkten sich die Aussagen zur athenischen Demokratie im 19. und frühen 20. Jahrhundert fast „durchweg auf kritische Bemerkungen, ja es war den Gelehrten das Thema überhaupt verleidet“[5], mit einigen Ausnahmen, wie etwa dem Historiker George Grote, der nachdrücklich, ganz im Widerspruch zu vielen Kollegen seiner Zeit, die politische Bildung, das politische Engagement und die Toleranz der Athener lobte. Im Lichte neuester Forschungsergebnisse stellte der kürzlich verstorbene Historiker Jochen Bleicken fest, dass die athenische Demokratie weder ein Unfall der Weltgeschichte, noch ein Idealstaat war, sondern der „historische Beleg dafür, daß die unmittelbare Herrschaft einer Masse auch unter dem Vorzeichen einer radikalen politischen Gleichheit über lange Zeit hindurch wirklich funktioniert hat.“[6] Zur Beantwortung der Hauptfragestellung werde ich als Quellen im wesentlichen Platons Siebten Brief sowie die Politeia nutzen.
[Auch wenn es nicht Thema dieser Arbeit ist, gehört zur richtigen Einordnung der attischen Demokratie die aus heutiger Sicht sehr kritisch zu bewertende Tatsache, dass u.a. Frauen und Sklaven keine politischen Rechte besaßen und nur ein Teil der Bevölkerung (= männliche Vollbürger) zur stimmberechtigten Bürgerschaft zählte.]
2.1 Die antike Persönlichkeit Platon
Der griechische Gelehrte Platon (* Athen 427 v.Chr., ϯ Athen 347 v.Chr.), der einem alten Adelsgeschlecht entstammte und Schüler des Sokrates sowie Lehrer des Aristoteles war, zählt zu den bedeutendsten Philosophen der Weltgeschichte. Obwohl er als wohlhabendes Mitglied der athenischen Oberschicht eine politische Laufbahn hätte einschlagen können, entschied er sich wegen aus seiner Sicht abschreckender Erfahrungen sowohl mit der brutalen und despotischen Herrschaft der Dreißig (404/03 v.Chr.) als auch der darauffolgenden wieder eingesetzten attischen Demokratie bewusst dagegen. Ein Platon erschütterndes Ereignis, das diesen Entschluss sicherlich beförderte, war der Tod seines guten Freundes Sokrates (399 v.Chr.) infolge einer Verurteilung wegen angeblicher Asebie (Gottlosigkeit) und des Verderbens der Jugend durch einen athenischen Gerichtshof. Eben jener Sokrates war es auch, der einen großen Einfluss auf das Leben und Denken Platons ausgeübt hatte. Im großen Maße beeindruckt hat ihn dabei wohl nicht nur Sokrates‘ Persönlichkeit, wie dessen „moralische Integrität, […] einfacher Lebensstil, […] Auseinandersetzung mit seinem Tod, […] Gerechtigkeitssinn, […] Tapferkeit, Zivilcourage und Loyalität gegenüber der Polis Athen, sondern auch seine Art, philosophische Fragen zu stellen und Probleme zu analysieren, die wohl […] als einer der wesentlichen Anstöße für Platons eigene Philosophie anzusehen ist.“[7] Das spiegelt sich gerade in den frühen platonischen Schriften bzw. Dialogen wider, wo Sokrates als Hauptredner auftritt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Platon den Wert der Schrift als eines Mediums der Erkenntnisvermittlung als gering einstufte. Für ihn war das Schreiben eher ein Spiel, während sich für ihn sein Ernst erst im Mündlichen entfaltete. Zu Platons bedeutendsten Werken gehört die Politeia, die er nach Gründung der Platonischen Akademie verfasst haben soll und in der er einen Idealstaat zu entwickeln versuchte. Die platonische Akademie, die u.a. vom berühmtesten Platon-Schüler Aristoteles besucht wurde, war für die Nachwirkung Platons eigener Philosophie sehr bedeutend, so dass man schlussfolgern kann, „daß der Grundgedanke eines intellektuellen Zentrums mit lebhaftem geistigen Austausch, in dem Lernende zur Selbständigkeit heranreifen sollten, von Platon her in die europäische Kulturgeschichte eingegangen ist.“[8]
2.2 Siebter Brief – Fälschung oder authentisches Dokument?
Um mehr über die Hintergründe von Platons Demokratie-Kritik herauszufinden, könnte es sinnvoll sein, eine ihm zugerechnete Selbstbiographie heranzuziehen: den Siebten Brief. Denn dort schildert er u.a. auch die Gründe seines Rückzugs von der politischen Bühne der attischen Demokratie. Doch wie wertvoll ist dieses Selbstzeugnis eigentlich? Ist dieser Brief authentisch und Platon zuzuordnen? Immerhin erfreute es sich in der Antike einer gewissen Beliebtheit, die Namen berühmter Persönlichkeiten als Träger der eigenen Gedanken zu verwenden. Und tatsächlich soll es sich bei den meisten der dreizehn von Platon überlieferten Briefe aus dem Altertum um reine Fälschungen handeln. Doch von der heutigen Forschung wird der Siebte Brief Platons, „der an Umfang einem der kleineren Dialoge gleichkommt, […] fast allgemein als echt anerkannt.“[9] Und selbst dann, wenn Platon nicht der Verfasser dieses Briefes gewesen sein sollte, sondern beispielsweise einer seiner Schüler, so ist man in „jedem Falle […] berechtigt, ihn als biographische Quelle zu verwenden.“[10] Warum? Bei der Untersuchung des historischen Hintergrundes ist u.a. festzustellen, „daß die wenigen im Brief mitgeteilten Fakten mit der sonstigen Überlieferung, die von ihm und gleichzeitigen Publikationen aus dem Umkreis der Akademie abhängig ist, weitgehend übereinstimmen.“[11]
Es scheint also unstrittig zu sein, dass es sich bei dem Autor des Briefes zumindest um einen zeitgenössischen handelte. Zudem kann man schlussfolgern, dass der Siebte Brief rein äußerlich ein „politisches Sendschreiben an die Anhänger von Platons Freund Dion in Syrakus [ist], daneben aber eine persönliche Rechtfertigung seiner Rolle in den Ereignissen in Syrakus[12] vor der griechischen Öffentlichkeit, ja sogar seiner Philosophie und seiner Schule, der Akademie.“[13] Letzteres wird insbesondere an den Aussagen am Ende des Briefes deutlich, wo es u.a. heißt: „Warum ich aber die zweite Reise nach Sizilien unternahm, glaubte ich erzählen zu müssen wegen der Seltsamkeit und Unwahrscheinlichkeit der damit zusammenhängenden Geschehnisse.“[14]
Es ist anzunehmen, dass Platons Kontakte mit den Tyrannen Dionysios I. und II. nicht gerade auf ein positives Echo im Athen seiner Zeit stießen und er wohl vor allem der zunehmenden Kritik an seinem Handeln begegnete, indem er mittels des Briefes seine Rolle in der sizilianischen Politik ins rechte Licht rücken wollte.
Die Politeia wurde von Platon um etwa 370 v.Chr. verfasst. Seinen Überlegungen lag im Wesentlichen die Frage zugrunde, was Gerechtigkeit ist. Die Klärung dieser Frage sah er als Grundlage aller Staatlichkeit und damit auch des Idealstaates an, den er in der Politeia zu entwickeln versuchte. Platon kam schließlich zu der Erkenntnis, dass „jeder einzelne […] eine von all den Aufgaben des Staates durchführen [solle], wozu sich seine Naturanlage am besten eigne.“[15] Gerechtigkeit bedeutete für ihn, dass „jeder seine Aufgabe vollende und nicht alles Mögliche betreibe.“[16] Die natürlichen Anlagen eines Menschen bestimmten damit für Platon auch, wer einen Staat zu regieren habe. Diese Rolle sprach er den Philosophen zu. Er verlangte, dass „die Philosophen in den Staaten Könige werden oder die Könige […] und Herrscher echte und gute Philosophen […] und […] in eine Hand zusammenfallen politische Macht und Philosophie […] und […] die Vielzahl derer, die sich heute auf Grund ihrer Anlage nur der einen der zwei Aufgaben widmen, mit Gewalt davon ferngehalten wird.“[17] Dass es sich bei der Politeia um eine Utopie handelt, verdeutlichen die eben erwähnten Vorstellungen Platons zum Philosophenkönig sehr deutlich.
Denn in der Geschichte hat es bis dato noch keinen Regenten in Platons Sinne gegeben und ob es diesen in der Zukunft jemals geben wird, ist ebenso fraglich. Um es mit Kant zu sagen: „Daß Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zur Beleuchtung ihres Geschäfts unentbehrlich“[18]. In der Forschung ist es umstritten, ob Platon an die Verwirklichung seiner Idee vom Philosophenkönig geglaubt hat oder aber nur der Realität ein Ideal entgegensetzen wollte. Zumindest ist es belegt, dass die Politeia vor allem aus Platons Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen im Athen seiner Zeit entstand und in sich geschlossene Ideale und Werte aufweist – was alles Merkmale für eine Utopie sind. Platons Missbehagen über die politische Ordnung der athenischen Demokratie äußert sich dann vor allem in einer klaren Demokratie-Kritik, die im Folgenden beleuchtet werden soll.
2.4 Demokratiebegriff und Demokratie-Kritik bei Platon
Perikles, der im 5. Jahrhundert v.Chr. als langjähriger Stratege[19] maßgeblich die Politik der attischen Demokratie mitbestimmt hatte, soll die Demokratie (griechisch: δημοκρατία = demokratia → Volksherrschaft; von „δήμος = demos ⇾ Volk“ und „κρατία = kratia → Herrschaft, Macht“) als Volksherrschaft beschrieben haben, wo der „Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf eine größere Zahl gestellt ist.“[20] Damit benannte Perikles die sowohl in antiker als auch moderner Zeit wohl grundsätzlichsten Wesensmerkmale der Demokratie: die Volksherrschaft und das Prinzip der Mehrheitsherrschaft. Doch so unbestritten diese allgemeinen Prinzipien dem Begriff der Demokratie innewohnen, so unterschiedlich sind und waren bis in die heutige Zeit hinein die Auffassungen darüber, wie diese Volks- und Mehrheitsherrschaft denn auszuüben ist. Beispielsweise, ob dies in direkter Form, wie zur Antike in der attischen Demokratie, oder indirekter Form, wie in heutiger Zeit beispielsweise in der BRD, geschehen solle.
Die Untersuchung der verschiedenen Verfassungsmodelle und der Ansätze, wie Demokratie realisiert werden könnte und wie sie bis in unsere heutige Zeit realisiert wurde, mag interessant sein, im Zusammenhang mit der Thematik dieser Arbeit ist diese Fragestellung jedoch irrelevant und eine andere von Bedeutung. Sie lautet: Was verstand Platon überhaupt unter Demokratie? Zunächst einmal ist festzustellen, dass Platon bei seinen Überlegungen natürlich nur einen Bezug zu dem nehmen konnte, was es bis zu seinen Lebzeiten an Demokratie-Vorstellungen gab. Dazu gehören insbesondere auch seine persönlichen Erfahrungen mit der attischen Demokratie. Platon definierte die Demokratie in seinem Werk Politikos zusammenfassend als Regierung der Menge, die „mit Gewalt oder mit ihrem guten Willen […] über die, welche das Vermögen in Händen haben“[21], regiert.
Zunächst einmal unterteilte er die Staatsverfassungen in „drei positive, wahre, legitime, richtige Formen […]: Philosophenkönigtum, Monarchie und Aristokratie; und in vier negative, falsche, illegitime, verwerfliche Formen: Tyrannis, Oligarchie und Demokratie (wobei er die Demokratie in eine anarchisch-despotische Erscheinungsform und in eine gesetzlich-gemäßigte gliedert, ohne verschiedene Bezeichnungen für sie zu verwenden).“[22] Das Entstehen der Demokratie, die für Platon aus der Oligarchie hervorging, sah er darin begründet, dass „die Armen siegen und ihre Gegner töten oder verbannen, alle übrigen aber nach gleichem Recht an Verfassung und Ämtern teilnehmen lassen und die Ämter möglichst nach dem Lose vergeben.“[23] Als vermeintlichen Vorteil der Demokratie hob er hervor, dass sie „- scheint es – eine angenehme, herrenlose und bunte Verfassung [ist], die ohne Unterschied Gleichen und Ungleichen dieselbe Gleichheit zuteilt.“[24]
Doch gerade eine Staatsverfassung, in der sozusagen gleiches Recht für alle herrscht, war für Platon inakzeptabel. Seiner Ansicht nach legitimierte zur „Ausübung eines politischen Amtes […] erst die rationale Einsicht in den hohen ethisch-sittlichen Anspruch an den einzelnen und somit die vorhandene charakterlich-moralische Integrität des Subjektes; und dieses Ethos erreicht bzw. besitzt nach Platon nur eine Minderheit (Politikos, 293 a)“[25], nämlich die nach Platons ethisch-sittlichen Vorstellungen gebildeten Aristokraten, so wie auch er einer war. Als das höchste Gut der Demokratie bezeichnete Platon die Freiheit. Jedoch stand für ihn fest, dass die Demokratie „an dem unersättlichen Streben nach ihrem höchsten Gut“[26] zugrunde gehen und in die Tyrannis münden würde. Warum? Platon sprach von den sogenannten Drohnen, die sowohl Oligarchie als auch Demokratie zugrunde richteten, also „jene Art der faulen Verschwender, unter denen die Tapfersten führen, die Feigen nachfolgen […], von denen die einen Stacheln haben, die andern nicht“[27] und die „in jedem Staat, in dem sie entstehen, Verwirrung [schaffen], wie es im Körper Schleim und Galle tun.“[28]
Diese Drohnen, womit er wohl die Demagogen[29] in der Politik bzw. die unproduktiven Profiteure des politischen Systems meinte, ständen im Staat an vorderster Stelle „mit wenigen guten Ausnahmen: die Kecksten wirken dort in Rede und Tat, der Rest sitzt um die Rednertribüne und läßt infolge seines Gebrumms keine andere Meinung aufkommen; daher liegt die Leitung eines demokratischen Staates fast ausnahmslos in den Händen solcher Menschen.“[30] Die Reichen indes wären in der Demokratie so etwas wie eine Drohnenweide, wo es für die Drohnen am meisten und leichtesten Honig zu holen gäbe, wovon sie den größten Anteil für sich behalten und nur eine geringe Menge an den laut Platon größten und entscheidenden Teil in der Demokratie, das arme Volk, verteilen würden. Die Wohlhabenden wiederum wären nun gezwungen, sich durch Reden vor dem Volk wie auch durch Handlungen nachhaltig gegen diese Enteignung zu wehren, wobei die Drohnen sie „der Feindschaft gegen die Demokratie und oligarchischer Gesinnung“[31] beschuldigten.
Das hätte zur Folge, dass die Vermögenden – die sehen, wie sich das Volk durch die Verleumdungen der Drohnen gegen Sie aufhetzen lässt – „ob sie wollen oder nicht, in Wahrheit Oligarchen [werden]: nicht aus eigenem Willen, sondern jene Drohne ist es, die durch ihre Stachelstiche dieses Unglück erzeugt.“[32] Aus diesen Verhältnissen würden Anklagen, Urteile und Prozesse gegeneinander folgen. Und da das Volk immer einen Mann vor allen anderen an die Spitze des Staates stelle, einen Volksführer, stand für Platon fest: „Wenn ein Tyrann entsteht, dann wächst er aus dieser Wurzel des Führertums und aus keiner andern.“[33] Zusammenfassend kann man sagen, dass Platon eine Staatsverfassung, die als Ziel die Gleichheit und höchstmögliche Freiheit aller im Volke hat, was für ihn dem Wesen der Demokratie entsprach, kategorisch ablehnte. Warum? Platon sah in der Demokratie, wo „plebiszitäre und populistische Mechanismen, die von Demagogen aus Gier nach Macht und Selbstherrschaft ausgenutzt werden, unausweichlich in diktorial-totalitäre Herrschaftsstrukturen von einzelnen oder einer kleinen Minderheit umschlagen“[34], „die zwangsläufige Abdriftung in Zügellosigkeit, Immoralität, Willkür, Anarchie und Gesetzlosigkeit“[35]. Platon versuchte an mehreren konstruierten Beispielen zu veranschaulichen, dass der Wandel der Staatsverfassung notwendig auch mit einem Wandel des Seelenlebens der Menschen einherginge.
So stellte er u.a. fest, dass, wenn „ein Junge […] ohne tiefere Bildung und sparsam [aufwüchse], und er kostet vom Honig der Drohnen und kommt mit funkelnden und gefährlichen Tieren zusammen, die mannigfachste und bunteste Freuden aller Art bieten können, […] in ihm der Wandel seiner Seele von der Oligarchie zur Demokratie“[36] begänne. Am Ende dieses Prozesses stände ein Mensch, der gutes und schlechtes nicht mehr voneinander zu unterscheiden imstande wäre und all seinen Neigungen unkontrolliert freien Lauf ließe, so dass ein „Übermaß von Freiheit […] beim einzelnen wie beim Staat in ein Übermaß von Knechtschaft“[37] umschlüge und die „Tyrannis aus keiner anderen Verfassung als aus der Demokratie, aus der höchsten Freiheit die tiefste und härteste Knechtschaft“[38] folgen würde.
2.5 Die möglichen Ursachen für Platons Demokratiekritik
Nachdem im vorherigen Kapitel herausgearbeitet wurde, was Platon unter dem Begriff Demokratie verstand und wie er diese bewertete, soll nun untersucht werden, wo die Ursachen für seine negative Bewertung einer demokratischen Verfassung liegen könnten. Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt möglicherweise im Beleuchten seiner persönlichen Erfahrungen mit der attischen Demokratie. In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal darauf zu verweisen, dass Platon von Anbeginn seiner politischen Karriere in der attischen Demokratie keinen guten Stand hatte. Nicht etwa vor allem deshalb, weil er einem wohlhabenden und aristokratischen Hause entsprang. Nein, viel bedeutender ist die Tatsache, dass der tyrannischen Herrschaft der Dreißig einige Verwandte und Bekannte Platons angehörten, wobei Kritias, ein Onkel Platons, der auch mit Sokrates verkehrte, „die führende Persönlichkeit der oligarchischen ‚Dreißig‘ im Jahre 404 [wurde] und […] für deren Terror“[39] maßgeblich verantwortlich war. Der Hintergrund: Nach der Niederlage des von Athen angeführten Attischen Seebundes im Peloponnesischen Krieg (431 – 404 v.Chr.) gegen den von Sparta angeführten Peloponnesischen Bund „hatten die Athener nicht nur ihre Herrschaft und sogar jeden außenpolitischen Kontakt verloren, sondern waren selbst ihrer eigenen Stadt nicht mehr Herr.“[40]
Unter der Führung eines spartanischen Befehlshabers (Harmost) wurde eine prospartanische Oligarchie aus 30 Männern eingesetzt, die als eine Art vorläufige Kommission Athen unter eine väterliche Verfassung (pátrios politeia) bringen sollten. Diese Herrschaft der Dreißig führte jedoch dazu, dass in „einer wahrhaftigen Terrorherrschaft […] viele Bürger hingerichtet [wurden], [wobei] anderen, unter ihnen Thrasybulos, […] die Flucht“[41] gelang. Etwa 1500 Athener sollen der despotischen und brutalen Herrschaft der Dreißig zum Opfer gefallen sein. Der bereits erwähnte Thrasybulos, ein athenischer Feldherr und Demokrat, soll es gewesen sein, der die in Athen stationierte spartanische Garnison besiegte, die Oligarchie unter Führung der Dreißig stürzte und nach einer Versöhnung mit Sparta die Wiederherstellung der athenischen Demokratie ermöglichte. Platon selbst ließ sich nicht von den Dreißig für eine politische Tätigkeit vereinnahmen.
Im Siebten Brief stellte er fest: „[…] 30 aber bildeten die oberste Behörde mit absoluten Vollmachten. Von diesen also waren einige mit mir verwandt und andere wenigstens bekannt, und darum forderten sie mich auch gleich zur Mitarbeit auf, als wäre das ganz selbstverständlich für mich.“[42] Zunächst verfolgte Platon laut eigener Aussage das Tun der Dreißig mit gespannter Aufmerksamkeit, musste jedoch bald enttäuscht feststellen, „daß diese Leute in kürzester Zeit die frühere Verfassung als paradiesisch erscheinen ließen.“[43] Ein für Platon bedeutendes Ereignis, dass diese Aussage wesentlich mitbestimmte, war die Tatsache, dass die Dreißig den ihm „sehr lieben älteren Freund, den Sokrates, […] zu einem der Bürger […] mit dem Auftrag [abordneten], er solle ihn herbeischaffen, damit er hingerichtet würde, natürlich zu keinem andern Zwecke, als um Sokrates in ihr eigenes Treiben zu verwickeln, mit oder ohne seinen Willen.“[44]
Sokrates indes soll die Ausführung des Auftrags, den offensichtlich unschuldigen Bürger aus Salamis festzunehmen, damit dieser hingerichtet werden konnte, verweigert haben und es ist nicht bekannt, dass er in die tyrannische Herrschaft der Dreißig, denen auch seine Schüler und Platon-Verwandten Kritias und Charminides angehörten, verwickelt gewesen wäre. Nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Dreißig und der Wiederherstellung der Demokratie in Athen befiel Platon erneut die Sehnsucht, wenn auch weniger intensiv als noch in früheren Zeiten, an den Staatsgeschäften mitzuwirken. Und er schlussfolgerte anfangs, dass, obwohl es „manches [gab], worüber man sich empören konnte, […] die damals siegreich zurückkehrende Partei große Mäßigung an den Tag“[45] legte. Doch auch hier ist es wiederum ein mit der Person des Sokrates verbundenes Ereignis, das dazu führte, dass sich Platon endgültig aus dem politischen Leben Athens zurückzog.
Gemeint ist der Prozess gegen Sokrates im Jahre 399 v.Chr., der wegen angeblicher Gottlosigkeit und des Verderbens der athenischen Jugend angeklagt und von einem Gericht zum Tode verurteilt wurde. Zumindest der Vorwurf, dass Sokrates nicht an die Götter der Stadt Athen glaube und neue Götter eingeführt habe, ist ganz offensichtlich falsch gewesen: Schließlich erwies Sokrates den Göttern in aller Form die üblichen kultischen Ehren. Und auch die Tatsache, dass er sich „immer wieder auf sein daimónion[46] berief, konnte man […] nicht als Mangel an Frömmigkeit ausgeben; schließlich gehörte auch das zum Polytheismus, daß man unter Umständen neue Götter verehrte; der Kult durfte der Stadt nur nicht als gefährlich erscheinen.“[47] Vermutlich wurde schlichtweg das gesamte öffentliche Wirken des Sokrates „als Gefahr [empfunden], und seine Berufung auf das daimónion war im Grunde nur ein Teil jener Tätigkeit, die die Ankläger als verderblich für die Jugend ansahen.“[48] Und worin auch immer die Motivation für die Anklageerhebung gelegen haben mag – so wäre es denkbar, dass Sokrates seine guten Beziehungen zu bestimmten Familien der Dreißig nun zum Verhängnis wurden oder die Ankläger ihn „einfach deswegen an[klagten], weil er ihrer Meinung nach der >>letzte Sophist<< war, dessen sie habhaft werden konnten“[49] -, treten doch gewisse Schwächen im Rechtssystem der attischen Demokratie hervor: Wie insbesondere „die mangelnde Definition von Straftatbeständen, für die das Delikt der Asebie mit seiner ‚Unbestimmtheit und Dehnbarkeit‘ ein besonders augenfälliges Beispiel ist; ferner das Verfahren, bei Delikten, für die es keine gesetzliche Strafe gibt, in einer weiteren Runde über alternative Strafanträge abzustimmen“[50], wobei man „auch noch das – von Platon hervorgehobene – Problem nennen [könnte], dass selbst Prozesse, die mit einem Todesurteil enden konnten, innerhalb nur eines Tages abzuschließen waren.“[51] Der Prozess gegen den in seinen Augen unschuldigen Sokrates war für Platon also der wesentliche Anlass, der athenischen Politik endgültig den Rücken zu kehren, wobei ein weiterer Beweggrund gewesen sein mag, dass die athenische Demokratie „ihm wohl nicht die rechte Betätigungsmöglichkeit [anbot], da er sich entweder als Volksredner hätte hervortun oder hätte warten müssen, bis ihn das Los für irgendein exekutives Amt bestimmte.“[52]
Unabhängig von letztgenannter Spekulation kann man dem Siebten Brief entnehmen, dass aus Platons Sicht die „Verderbnis in der Gesetzgebung und allgemeinen Sittlichkeit in erschreckender Weise zu[nahm]“[53], so dass er bezüglich aller gegenwärtigen Staatswesen „den Eindruck [bekam], daß sie alle elend miteinander regiert seien. Denn ihre Gesetzgebung liegt völlig unheilbar darnieder“[54].
Anschließend kommt er auf die in seiner Politeia ausformulierten Gedanken zu einem Philosophenstaat kurz zu sprechen: So sah er sich laut eigenen Aussagen gezwungen, nur noch „die wahre Philosophie anzuerkennen und festzustellen, daß man allein von ihr vollständig erkennen könne, worin Gerechtigkeit im Staat und Privatleben bestehe“[55] und hielt nur das Szenario, dass „ein Schlag wahrer und echter Philosophen an die Staatsverwaltung gelangt, oder […] die regierenden Kreise in den Städten durch ein göttliches Wunder ernsthaft zu philosophieren begännen“[56], für die Lösung der von ihm aufgezählten Probleme. Wenn man Platons Schilderungen im Siebten Brief Glauben schenken mag, war die politische Situation in der wiederhergestellten attischen Demokratie äußerst krisenhaft. Zumindest für die Zeit kurz nach dem Sturz der Dreißig mag das zutreffend gewesen sein. Denn der vorausgehende, viele Jahre anhaltende Krieg, die bittere Niederlage gegen Sparta und die darauffolgende Oligarchenherrschaft waren einschneidende Ereignisse für Athen gewesen, die noch lange Zeit nachwirkten.
Und tatsächlich lässt sich die Kritik Platons an der Demokratie teilweise nachvollziehen, gerade wenn man sich die Phase des Peloponnesischen Krieges bis zum Jahre 404 v.Chr. anschaut. In dieser Zeit kam es zu geradezu willkürlich anmutenden Entscheidungen der Volksversammlung wie im Fall des pauschalen Todesurteils gegen die Strategen, die es wegen schlechter Wetterbedingungen in der Seeschlacht bei den Arginusen (406 v.Chr.) versäumt hatten, die vorgeschriebene Bergung der eigenen Toten durchzuführen. Aber auch die Entscheidung im Jahre 411 v.Chr. (ähnlich 404 v.Chr.), die Demokratie abzuschaffen und die Macht für bestimmte Zeit an einige wenige Männer zu übertragen, die dann ihre Herrschaft in Richtung Oligarchie entwickelten, gehört dazu. Das athenische Volk besaß also sogar die Freiheit, die eigene Herrschaftsform durch eine andere zu ersetzen. Diese grenzenlose Freiheit, dass das Volk sozusagen machen bzw. in der Volksversammlung beschließen kann, was es will, ist es auch, die sich in Platons Demokratie-Kritik widerspiegelt.
Denn bei einer solch radikalen direkten Demokratie kann es dann tatsächlich passieren, dass sie in ein anderes Extrem wie die Tyrannis umschlägt und aus der besagten größtmöglichen Freiheit die größtmögliche Knechtschaft wird. Solche Ereignisse, wie die zuvor erwähnten Volksbeschlüsse, mögen Platon darin bestätigt haben, dass es sich bei der Demokratie um eine höchst instabile Herrschaftsform handelt, in der es Demagogen einfach haben, weil das Volk nicht dazu in der Lage ist, verantwortlich mit der eigenen Herrschaft umzugehen. Zum anderen ist jedoch festzustellen, dass gerade das letztgenannte Ereignis des Wandels von Demokratie in Oligarchie zu Konsequenzen führte, indem man nach der Wiederherstellung der Demokratie „auf institutionelle Sicherungen bedacht war, die für die Zukunft einen Sturz der Demokratie ausschließen sollten. Dazu gehören vor allem die Sicherung, Sichtung und Bereinigung des vorhandenen Gesetzesbestandes, die Trennung zwischen höherrangigen nomoi als generellen Normen und nachgeordneten psephismata als Volksbeschlüssen für den Einzelfall sowie das darauf aufbauende neue Gesetzgebungsverfahren und die Möglichkeit der Anfechtung und Aufhebung von Volksbeschlüssen auf dem Wege der graphe paranomon.[57]
Durch die Schaffung der Institution der Nomotheten, deren Beschlüsse Gesetzeskraft besaßen und nicht der Bestätigung der Volksversammlung bedurften, wurde die Macht der Volksversammlung – und der dort auftretenden Stimmführer – relativiert, da sie nur noch nachrangige Gesetze beschließen konnte. Tatsachen wie diese sind es, die solch radikale Kritik Platons an der attischen Demokratie, dass „der Staat […] in der Freiheit der Tat und […] des Worts [überquillt], und jedem […] erlaubt zu tun [ist], was er will“[58], als stark übertrieben und verzerrt erscheinen lässt. Nichtsdestotrotz kann man ihm nicht vorwerfen, dass er der Freiheit grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Vielmehr „kritisiert [Platon] nicht generell die Theorie und Praxis der Freiheit, sondern das Übermaß demokratischer Freiheit.“[59] Ebenso entschieden argumentierte Platon gegen eine demokratische Gleichheit, u.a. deshalb, weil die Menschen in der Demokratie nur abstrakt gleichgesetzt seien, es in Wirklichkeit aber nicht sind.
Und genau hier trifft Platon einen wunden Punkt der athenischen Demokratie. Denn den Athenern ging es darum, „daß jeder Bürger sein politisches Recht nicht nur haben, sondern es auch ausüben können soll.“[60] Doch der Realisierung der Gleichheit aller Bürger standen unüberwindbare Hindernisse im Wege: „Denn die Vorstellung, daß alle Bürger zugleich entscheiden, raten und urteilen sollen, wäre nur zu realisieren gewesen, wenn alle zugleich mit ihrer Mündigkeit ökonomisch unabhängig gestellt worden wären.“[61] So konnten sich beispielsweise Bauern, die die Mehrheit der Bürger bildeten, oft nicht leisten, „anstatt auf dem Felde zu sein, tagelang auf der Pnyx oder Agora zu sitzen oder gar länger dauernde Funktionen als Beamter oder Gesandter zu übernehmen.“[62] Die Einführung von Diäten und deren Ausbau konnten dieses Problem zwar verringern, aber nicht aus der Welt schaffen.
Das alles ist auch nachvollziehbar. Es stützt jedoch Platons Demokratie-Kritik dahingehend, dass er Laien-Politiker, die nebenbei noch anderen Tätigkeiten nachgehen, ablehnte, da er der Auffassung war, dass jemand seine Sache nur dann gut mache, wenn er sich voll und ganz auf diese konzentriere. Dies geht mit seinen Vorstellungen von einem Philosophenstaat einher, wo die Besten, also die Philosophen, herrschen, die Wächter die innere Ordnung des Staates bewahren und diesen nach außen verteidigen und die Bauern, Handwerker und Kaufleute das Volk materiell versorgen sollen. Hier zeigt sich letztlich das „ständestaatliche Muster von der zentral gesteuerten und regulierten gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung nach dem Prinzip der Verantwortung durch ethische und geistig-philosophische Qualifikation“[63]. Die Gedanken Platons zum Philosophenstaat muten sehr autoritär an, da bei ihm „der Politiker zum politischen Künstler [wird], der eine Masse bilden oder formen muss, ohne dass er auf ihre Zustimmung angewiesen wäre.“[64]
Eine nicht unwesentliche Rolle für dieses Denken spielte sicherlich, dass Platon aus gutem Hause stammte und aristokratisch geprägt war. Denn wenn er in der Politeia beklagt, dass in der Demokratie faktisch ungleichen Menschen eine Gleichheit zugesprochen wird, dann meint er nichts anderes, als dass es nun einmal Unterschiede zwischen den Menschen gäbe, wie in der Naturanlage, Herkunft, im Leistungsvermögen und Bildungsstand, die man nicht einfach ignorieren könne, sondern zu berücksichtigen habe. Für ihn zeichnete sich die Masse des Volkes durch mangelnde Bildung und fehlenden Sachverstand aus, was für Platon die Wurzel allen Übels war, da so der Nährboden u.a. für machtgierige Volksverführer und das Abgleiten in die Tyrannis bereitet wäre. Platon setzte dem vermutlich von ihm empfundenen Extrem der direkten Demokratie das Extrem einer äußerst starren staatlichen Hierarchie entgegen, wo jedem eine Aufgabe in Abhängigkeit seiner vermeintlichen Naturanlage zukommen sollte. Es liegt die Vermutung nahe, dass die „Vorzugsstellung einiger innerhalb der Gemeinschaft […] Platon als zur Natur der Polis gehörig erscheinen“[65] musste, da er „den Naturzustand der Individuen, der beim Menschen immer schon geschichtlich vermittelt ist, in einer bestimmten politischen Überformung vor[fand], nämlich in der Unterscheidung gewöhnlicher Bürger von den Resten eines alten Geburtsadels und dem neuen Geldadel.“[66] Nicht zufällig mutet das Staatsgebilde, das Platon entwarf, sehr aristokratisch und despotisch an, da insbesondere der Mann an der Spitze, der Philosophenkönig, keiner anderen Kontrolle als seiner eigenen Vernunft unterliegen soll.
Die vorherige Untersuchung der Kritik Platons an der Demokratie hat gezeigt, dass sie von grundsätzlicher Natur war. Nicht zuletzt deshalb, weil er zwei Wesensmerkmale der Demokratie, die Freiheit und Gleichheit, entschieden ablehnte. Für ihn war die Mehrheit des Volkes aufgrund mangelnder Bildung nicht sachverständig genug, um komplexe Entscheidungen treffen zu können. Anstatt dessen sah er nur eine Minderheit im Volk, nämlich nach seinen ethisch-sittlichen Vorstellungen gebildete Aristokraten, dazu in der Lage, kraft ihrer Weisheit bzw. Vernunft zu herrschen. Während die Masse des Volkes nach Lust und Laune über bestimmte Sachverhalte entscheide, würden die Philosophen dies ob ihres ausgeprägten Sachverstandes erst nach eingehender Abwägung und Überprüfung aller Argumente unter Maßgabe der Vernunft tun. Platon erschien die Demokratie mit ihren durch Los vergebenen Ämtern, wo die Freiheit für jeden Bürger darin bestände, in beliebiger Art und Weise heute für dieses und morgen für jenes zu stimmen, als unberechenbar und im höchsten Maße instabil. Daher meinte er, dass die – seiner Ansicht nach – aus der Oligarchie hervorgehende Demokratie notwendigerweise in die Tyrannis führe. Denn die Freiheit, machen zu können, was man will, bewirke laut Platon einen Sittenverfall der Gesellschaft und pure Willkür, die von der Gier nach Macht besessene Demagogen, die Platon im metaphorischen Sinne als Drohnen bezeichnete, dazu ausnutzen würden, das Volk in ihrem Sinne zu verführen und sie dazu zu bringen, nach einem starken Mann, einem Volksführer, zu rufen. Zu dieser Schlussfolgerung mussten ihn insbesondere seine Erfahrungen mit den unruhigen Zeiten des Peloponnesischen Krieges kommen lassen, wo beispielsweise die Volksversammlung im Jahre 411 v.Chr. beschlossen hatte, die Demokratie auf bestimmte Zeit abzuschaffen und durch eine oligarchische Herrschaft zu ersetzen. Nicht zuletzt der in seinen Augen ungerechte Prozess gegen seinen Freund Sokrates kurz nach Wiederherstellung der Demokratie war ein wesentlicher Anlass für Platon, sich endgültig aus dem politischen Leben Athens zurückzuziehen. Trotz der teils übertrieben anmutenden Kritik an der Demokratie zeigt Platon mit Blick auf bestimmte Mechanismen vorhandene Schwächen dieser auf, wie beispielsweise die Gefahr, die von Demagogie und fehlenden institutionellen Sicherungen ausgehen kann. Da für Platon alle Staatswesen seiner Zeit, also nicht nur die Demokratie, verkommen waren, entwickelte er mit seinem Philosophenstaat einen sehr autoritär und despotisch erscheinenden Gegenentwurf, der vorsah, dass nur wenige zur Herrschaft befähigt seien, nämlich die entsprechend gebildeten Philosophen, die nur vor ihrer eigenen Vernunft Rechenschaft über ihr Handeln abzulegen haben.
4. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen:
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Platon: Der Staat (Politeia), übers. und hrsg. v. Karl Vretska, Stuttgart 2000.
Platon: Der siebente Brief, Übers., Anm. u. Nachw. v. Ernst Howald, Stuttgart 2004.
Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges, übers. und mit einer Einf. und Erl. vers. v. Georg Peter Landmann, München 1993.
Literatur:
Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, 4., völlig überarb. und wesentlich erw. Aufl., Paderborn 1995.
Bordt, Michael: Platon, Freiburg 1999. Eder, Walter (Hg.): Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1995.
Görgemanns, Herwig: Platon, Heidelberg 1994.
Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Leipzig 1984.
Maurer, Reinhart: Platons ‚Staat‘ und die Demokratie, Berlin 1970.
Meier, Christian: Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, München 1997.
Mittermaier, Karl / Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995.
Suhr, Martin: Platon, 2., vollst. überarb. Aufl., Frankfurt / New York 2001.
Trampedach, Kai: Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik, Stuttgart 1994.
Fußnoten:
[1] Meier, Christian: Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, München 1997, S. 691.
[3] Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, 4., völlig überarb. und wesentlich erw. Aufl., Paderborn [u.a.] 1995, S. 682.
[4] Eder, Walter (Hg.): Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1995, S. 14.
[7] Bordt, Michael: Platon, Freiburg 1999, S. 18.
[8] Görgemanns, Herwig: Platon, Heidelberg 1994, S. 30-31.
[9] Platon: Der siebente Brief, Übers., Anm. u. Nachwort–v. Ernst Howald, Stuttgart 2004, S. 57.
[11] Trampedach, Kai: Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik, Stuttgart 1994, S. 255.
[12] Anm.: Beim Versuch, seine Vorstellungen eines Idealstaates (Politeia) während der Tyrannis des–Dionysios I. und später Dionysios II. in Sizilien in die Realität umzusetzen, scheiterte Platon.
[13] Platon: Der siebente Brief, Übers., Anm. u. Nachw. v. Ernst Howald, Stuttgart 2004, S. 57-58.
[18] Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Leipzig 1984, S. 37.
[19] Anm.: Als Stratege (altgriechisch: strategos) wurde im antiken Griechenland ein Heer- oder Flottenführer, aber auch ein–hoher Beamter mit militärischen und zivilen Aufgaben bezeichnet. Seit Kleisthenes bestand das sogenannte Kollegium der 10 Strategen, das den Oberbefehl in Athen wechselweise innehatte und von großem politischen Einfluss–war. Auch Perikles gehörte ihm an.
[22] Mittermaier, Karl / Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995, S. 23.
[25] Mittermaier / Mair, S. 24.
[29] Anm.: Hier ist die negative Bedeutung des Begriffs gemeint. Während im antiken Griechenland ein einflussreicher Redner in Volksversammlungen als Demagoge bezeichnet wurde, was so viel wie Volksführer heißt, verbindet man den Begriff heutzutage gewöhnlich mit einem Volksverführer/Aufrührer bzw. einem Politiker, der sich der Demagogie bedient.
[34] Mittermaier / Mair, S. 24.
[46] Anm.: Das daimónion war bei Sokrates eine innere Stimme (Gewissen) göttlichen Ursprungs bzw. eine göttliche Eingebung, die ihn vor Verfehlungen bzw. unsittlichen Handlungen warnte.
[50] Nippel, Wilfried: Rezension zu: Heitsch, Ernst (Hrsg.): Platon Werke I 2: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar. Göttingen 2002. In: H-Soz-u-Kult, 03.09.2004, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-130, Datum: 26.11.2006 (22:10 Uhr).
[51] Ebd. Datum: 26.11.2006 (22:11 Uhr).
[52] Maurer, Reinhart: Platons ‚Staat‘ und die Demokratie, Berlin 1970, S. 44.
[57] Nippel, Wilfried: Rezension zu: Haßkamp, Dorothee: Oligarchische Willkür – demokratische Ordnung. Zur Athenischen Verfassung im 4. Jahrhundert v. Chr., Darmstadt 2005. In: H-Soz-u-Kult, 13.11.2006,http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-116, Datum: 29.11.2006 (16:50 Uhr).
[63] Mittermaier / Mair, S. 26.
[64] Suhr, Martin: Platon, 2., vollst. überarb. Aufl., Frankfurt / New York 2001, S. 123.