Bruttonationalglück statt Bruttosozialprodukt?

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wirtschaftswachstum gelten in vielen Ländern als wichtigste Grundlage für einen erfolgreichen Staat. Auch die Entwicklungshilfe verstand sich lange Zeit fast ausschließlich als Wirtschaftshilfe, andere Faktoren galten als zweitrangig. Als wichtigster Indikator für die unternehmerische Leistungsfähigkeit eines Landes wird die Summe der erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen herangezogen: das Bruttosozialprodukt. Viele Staaten streben danach, auf diesem Gebiet besonders gut und leistungsfähig zu sein.

Gerade in vielen Entwicklungsländern geht das Streben nach Wirtschaftswachstum oft über alles. Entwicklungshilfe ist ja fast immer Entwicklungshilfe für die eigene Wirtschaft, die auf der Suche nach neuen Märkten ist. Als der König von Bhutan einmal gefragt wurde, welches Bruttosozialprodukt sein Land habe, erklärte dieser, in seinem Staat sei das Ziel das Bruttonationalglück. Tatsächlich wurde seit diesem Zeitpunkt in Bhutan das Bruttonationalglück als Staatsziel definiert. Eine vom König ins Leben gerufene Kommission arbeitete die Grundlagen aus. Die Idee, sich nicht mehr nur am Wirtschaftswachstum zu orientieren, klingt hervorragend.

Dafür sprechen einige Fakten: So landeten etwa die USA bei einer Untersuchung über die Zufriedenheit der Bevölkerung und das Glücksempfinden auf dem 150. Platz (Deutschland = Platz 81). Die zufriedenste Bevölkerung lebt danach auf dem kleinen Inselstaat Vanuatu. Wirtschaftswachstum macht also noch lange nicht glücklich. Doch ist das Bruttonationalglück wirklich eine Lösung oder nur ein ideologischer Versuch, die eigene wirtschaftliche Schwäche zu kaschieren? Schauen wir uns genauer an, wie in Bhutan das Bruttonationalglück erreicht werden soll.

Und zwar durch:

  • eine sozial gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung
  • die Erhaltung und Förderung kultureller Werte
  • Umweltschutz
  • gute und effiziente Regierungs- und Verwaltungsstrukturen.

Die Kriterien sind nicht nur unter idealistischen Aspekten gut gewählt. Damit lässt sich ein Staat machen. Gerade Entwicklungsländer können von solchen Schwerpunkten profitieren. Das Primärziel Wirtschaftswachstum ist in vieler Hinsicht zu kurz gedacht. Auch andere Staaten gehen mittlerweile einen solchen Weg. Auffällig ist dabei, dass es sich mit Ecuador und Bolivien um zwei Staaten handelt, die eine relativ starke indigene Bevölkerung haben. Die Gesellschaftsstrukturen sind dort traditionell an anderen Wertmaßstäben ausgerichtet als in westlichen Gesellschaften (siehe auch die Entwicklung des Jesuitenstaates, wo sich der Jesuitenorden bei der Organisation des Gemeinwesens stark an der indianischen Mentalität orientierte).

Unterdessen gibt es auch hierzulande Bestrebungen, das Bruttonationalglück als Bewertungsmaßstab zu nehmen. Dabei muss man natürlich genau hinsehen, denn nichts ist ohne Risiko. Die Gefahr bei der Erklärung eines solchen Begriffes ist der idealistische Hintergrund. Glück ist nicht überall gleich.

Leicht kann sich hier eine Wertungs- und Deutungshoheit entwickeln, indem eine Ideologie die Maßstäbe setzt. Hier ist es wichtig, universelle und überprüfbare Kriterien als Grundlage zu nehmen, die nicht zu stark in persönliche Bereiche hineingehen. Bhutan hat mit seinem Bruttonationalglück einen wichtigen Diskussionsbeitrag geliefert. Doch hier zeigen sich auch bereits die Gefahren. Die Bewahrung kultureller Traditionen wird hier auch als Mittel zur Unterdrückung der starken nepalesischen Minderheit benutzt. Das Bruttonationalglück bleibt jedoch eine interessante Diskussionsgrundlage. Die aktuellen Krisen sollten ein Ansporn sein, nach neuen Wegen zu suchen.