Die Achse der Autokraten: Die globale Blaupause des Autoritarismus

(Foto by Elena Ternovaja  | Bildbeschreibung: Anne Applebaum, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2024 auf der Frankfurter Buchmesse 2024 | Quelle: Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0)

In ihrem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichneten Werk legt die Historikerin und Journalistin Anne Applebaum die schonungslose Anatomie einer neuen globalen Bedrohung vor: ein internationales, flexibles Zweckbündnis von Autokratien, das mit einer perfiden Strategie darauf abzielt, die demokratische Welt zu untergraben.

Deutscher Titel:Die Achse der Autokraten – Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten
Originaltitel:Autocracy, Inc. – The Dictators Who Want to Run the World
Autorin:Anne Applebaum
Erscheinungsjahr:2024
Verlag:Siedler
Originalverlag:Doubleday
ISBN:978-3-8275-0176-9


Aus der Sicht von Anne Applebaum ist Autokratien wie Russland, China, Nordkorea oder Iran das Ziel gemeinsam, „die Bürger ihres Landes von allen Entscheidungen auszuschließen, ihnen die politische Stimme zu verwehren, Transparenz und Rechenschaft in jeder Form zu verweigern und ihre Kritiker im In- und Ausland zu verfolgen.“ (Die Achse der Autokraten, S. 10–11) Das Buch verwebt komplexe geopolitische Zusammenhänge zu einer packenden und dringlichen Erzählung, die trotz ihrer wissenschaftlichen Fundierung nie trocken wirkt, sondern die Leser:innen direkt ins Zentrum des Geschehens zieht. Sie geht der Frage nach: Wie konnte es zu jenem internationalen Netzwerk von Autokratien kommen, das heute die Grundfesten unserer Demokratien untergräbt? Diese beantwortet sie auch mit einem Blick auf den Optimismus der 1990er Jahre: Der vermeintliche Siegeszug der Demokratie verschleierte, dass Autokrat:innen die Globalisierung bereits nutzten, um ihre eigenen perfiden und effizienten Machtstrukturen zu schaffen.

Die Anatomie der neuen Autokratie

In fünf Kapiteln seziert Applebaum die Ziele und Strategien der Autokrat:innen. Sie beschreibt ein System von flexiblen Zweckbündnissen, das weniger auf einer gemeinsamen Ideologie als auf knallharten, gemeinsamen Interessen beruht. Die Kombination aus Korruption, Kontrolle und Propaganda dient als Kitt, der diese Regime zusammenhält. Ihr Ziel ist es, sich gegenseitig Macht, Geld und vor allem Straffreiheit zu sichern.

Applebaum bescheinigt diesen Akteur:innen eine hohe Lernfähigkeit: Sie kopieren und perfektionieren gegenseitig ihre Taktiken der Unterdrückung, Desinformation und juristischen Kriegsführung und bilden eine Art „Autocracy, Inc.“ – eine global agierende Unternehmensgruppe des Autoritarismus, deren Geschäftsmodell die Zerstörung der regelbasierten Ordnung ist. Damit verbunden kritisiert sie aber auch bestimmte politische und wirtschaftliche Entscheidungen in westlichen Demokratien im Umgang mit Autokratien und verweist auf die Warnungen von Demokratieaktivist:innen, „dass unsere Industrie, unsere Wirtschaftspolitik und unsere Forschung die wirtschaftliche und sogar militärische Aggression der Autokratien ermöglicht. Einige der reichsten und mächtigsten Amerikaner und Europäer spielen hier eine zweifelhafte Rolle.“ (S. 177)

Applebaum unterstreicht, dass Autokratie und Kleptokratie Hand in Hand gehen und sich gegenseitig verstärken: „Dank der Globalisierung der Finanzwelt, der Vielfalt an Geldverstecken und der gütigen Duldung ausländischer Gaunereien durch Demokratien eröffnen sich Autokraten heute Möglichkeiten, von denen sie vor einigen Jahrzehnten nicht zu träumen gewagt hätten.“ (S. 47-48) All dies belegt sie mit konkreten Beispielen und Quellen.

Die Achse in Aktion: Das Lehrstück Ukraine

Obwohl Applebaums Buch eine globale Perspektive einnimmt, lässt sich die Schlagkraft ihrer Thesen nirgendwo deutlicher überprüfen als im andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Folgerichtig bezeichnet sie in ihrem Buch die Vollinvasion Russlands in die Ukraine als „erste militärische Schlacht im Konflikt zwischen der Achse der Autokraten und der demokratischen Welt.“ (S. 20). Sie weist darauf hin, dass der chinesische Präsident Xi Jinping die Unterstützung dafür bereits drei Wochen vor den ersten Bombenangriffen auf Kiew signalisierte, indem er eine gemeinsame Erklärung mit Putin unterzeichnete, „jegliche Kritik an russischen Handlungen zu ignorieren, vor allem alles, was als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« unter dem Vorwand des Schutzes von Demokratie und Menschenrechten ausgelegt werden könne.“ (S. 23)

Zudem profitierte China nach der russischen Vollinvasion für seine Rückendeckung gegenüber dem Putin-Regime auch gerade wirtschaftlich von der neuen Situation, „erhielt russisches Erdöl und Erdgas zu günstigen Preisen und verkaufte militärisches Gerät an Russland. […] Während der Krieg voranschritt, exportierte der Iran Tausende Drohnen nach Russland, Nordkorea lieferte Munition und Raketen. Russische Klientelstaaten in Afrika […] unterstützten Russland vor den Vereinten Nationen und anderswo. Vom ersten Kriegstag an gestattete Belarus den russischen Truppen den Durchmarsch und die Nutzung von Straßen, Eisenbahnen und Militärstützpunkten. Die Türkei, Georgien, Kirgisistan und Kasachstan, nichtfreiheitliche Staaten mit Handelsbeziehungen zur autokratischen Welt, halfen der russischen Rüstungsindustrie, Sanktionen zu umgehen und Werkzeugmaschinen sowie elektronische Bauteile zu importieren. Indien nutzte die günstigen Preise und kaufte russisches Erdöl.“ (S. 23–24)

Die von Applebaum beschriebenen Zweckbündnisse werden durch Russlands abscheuliche Verbrechen in der Ukraine in ihrer brutalsten Form sichtbar. Das alles sind also keine Zufälle, sondern Ausdruck dieser vernetzten Autokratien. Deren Zusammenarbeit läuft letztlich darauf hinaus, eine neue Weltordnung in ihrem Sinne zu formen – auf Kosten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.

Wie Applebaums Thesen in den USA Realität werden

Applebaum macht in ihrem Buch deutlich, dass autokratische Taktiken nicht nur in klassischen Diktaturen, sondern zunehmend auch in westlichen Demokratien zu beobachten sind. Denn die Achse der Autokrat:innen führt ihren Kampf vor allem auch innerhalb von Demokratien als Teil einer hybriden Kriegsführung. Dabei unterstützen sie gezielt extremistische und autoritäre Kräfte, um durch Desinformation, Finanzhilfen und politische Schützenhilfe demokratische Gesellschaften zu polarisieren und zu lähmen. Ihr Ziel ist es, in den Demokratien so viel Chaos und Misstrauen zu säen, dass die Bürger:innen damit beginnen, die Demokratie selbst für dysfunktional und korrupt zu halten. Wie treffend Applebaums Warnungen sind, zeigt sich mit erschreckender Klarheit, wenn man ihren analytischen Werkzeugkasten auf die Entwicklungen und aktuellen Vorgänge in den USA anwendet.

Die systematische Umsetzung des von der Heritage Foundation angestoßenen „Project 2025“ und weiterer Maßnahmen durch die Trump-Regierung führt das autokratische Handbuch in seiner ganzen Bandbreite vor. Dazu gehören die massenhafte Anwendung von Executive Orders zur Umgehung demokratischer Kontrolle, der Einsatz der Nationalgarde gegen den Willen demokratisch regierter Bundesstaaten, die Androhung des „Insurrection Act“ gegen Proteste sowie die Ausnutzung eines Government Shutdown, um die Bundesverwaltung zu verkleinern und politisch auf Kurs zu bringen. Ergänzt wird dieses autoritäre Vorgehen durch das aggressive Auftreten der Einwanderungsbehörde ICE, die Rolle einiger finanzstarker Tech-Milliardär:innen und Medienunternehmer:innen bei der gezielten Meinungssteuerung sowie einen systematischen Angriff auf die Pressefreiheit. Diese Maßnahmen sind Teil einer Strategie, die demokratische Prinzipien gezielt untergräbt und die Gewaltenteilung aushöhlt.

Blaupause für autokratische Kräfte weltweit

Und genau hier liegt die beunruhigende und zugleich brillante Leistung von Applebaums Analyse. Sie befähigt uns zu erkennen, dass es sich bei Vorgängen wie in den USA nicht um eine isolierte Anomalie handelt. Vielmehr sind es dieselben Mechanismen und Taktiken, die Autokrat:innen weltweit anwenden, um die Demokratie zu untergraben. Der Angriff auf die freie Presse, die Instrumentalisierung des Justiz- und Sicherheitsapparates gegen politische Gegner:innen, systematische Desinformation und die Verachtung der Gewaltenteilung sind universelle Taktiken.

Applebaum macht deutlich, dass sich die Autokrat:innen in aller Welt gegen die Demokratie verbündet haben, nicht nur durch externe Allianzen, sondern auch durch das Kopieren ihrer Methoden durch autoritäre Kräfte in demokratischen Gesellschaften zur Zersetzung von innen. Der Epilog ihres Buches mit dem Titel „Demokraten, vereinigt euch!“ soll dazu animieren, etwas dagegen zu tun. Sie resümiert dort zwar, dass es aus ihrer Sicht keine freiheitliche Weltordnung mehr gibt, doch „es gibt freiheitliche Gesellschaften und offene und freie Nationen, die ihren Bürgern bessere Aussichten auf ein sinnvolles Leben bieten als geschlossene Diktaturen.“ (S. 180) Es liege an uns, diese freiheitlichen Gesellschaften zu verteidigen und zu schützen.

Fazit

In ihrem Buch führt uns Anne Applebaum die Verletzlichkeit demokratischer Strukturen schmerzlich vor Augen. Sie zeigt eindrücklich, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist und der Kampf für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht nur in entfernten Ländern, sondern täglich im Herzen unserer eigenen freiheitlichen Gesellschaften ausgefochten wird. Ihre Analyse ermutigt, wachsam zu bleiben und die aufkeimenden autokratischen Methoden – von wirtschaftlicher Korruption über rechtliche Manipulation bis zur gezielten Desinformation – frühzeitig zu erkennen.

Angesichts der Tatsache, dass freiheitliche Gesellschaften dadurch von innen und außen zerstört werden können, ruft sie alle demokratisch gesinnten Akteur:innen dazu auf, sich aktiv und gemeinsam für deren Fortbestand einzusetzen. Damit macht sie auch deutlich, dass dem internationalen Netzwerk der Autokrat:innen nur ein ebenso entschlossenes und vernetztes Handeln der demokratischen Welt entgegenwirken kann.