Saudi-Arabien, das sich sehr stark im Syrien-Konflikt engagiert, ist in erheblichem Maße für die Radikalisierung weiter Teile der muslimischen Welt verantwortlich. Mit dieser sehr problematischen Rolle Saudi-Arabiens werde ich mich nun folgend auseinandersetzen, da hier ein Schlüssel zur Zukunft der muslimischen Welt liegt.
In Syrien liefert sich das sunnitische Saudi-Arabien einen blutigen Stellvertreterkrieg mit dem schiitischen Iran. Islamistische Gruppierungen werden massiv mit Geld und Waffen unterstützt. Um die Wirtschaftsgrundlage ihrer Gegner Iran und Russland zu schwächen, fluteten sie die Märkte mit billigem Öl. Saudi-Arabien ist aber auch aus anderen Gründen eines der einflussreichsten islamischen Länder. Hier liegt die Kaaba, das zentrale islamische Heiligtum, zu dem jeder Muslim mindestens einmal pilgern soll.
Mit gigantischen Ölvorkommen gesegnet, ist Saudi-Arabien ein wohlhabendes Land, das gleichzeitig die steinzeitlich anmutende wahabitische Staatsreligion hat, eine weitverbreitete fundamentalistische Richtung des sunnitischen Islam. Wenn es nach islamistischen Anschlägen oft heißt, das hat mit dem Islam nichts zu tun, so ist das nur die halbe Wahrheit. Es ist nicht „der Islam“, der hinter dem Terror steht, aber es sind teils mächtige Strömungen innerhalb des Islams, die den ideologischen Nährboden für den Terror bieten. Der Wahabismus ist die einflussreichste unter diesen radikalen Strömungen.
Der Islam hat sich in der Geschichte oftmals als tolerante Religion gezeigt. Zu Zeiten Harun al Raschids blühte eine philosophische und verstandesgeleitete Theologie. Ob das muslimische Sizilien, Spanien unter den Mauren oder das Osmanische Reich – es gab einige tolerante muslimische Staaten. Doch im 19. Jahrhundert begann der Aufstieg eines radikalen muslimischen Fundamentalismus, er war auch eine Reaktion auf den europäischen Kolonialismus, schließlich wurde der Großteil der muslimischen Welt von Großbritannien oder Frankreich beherrscht. Ein wichtiger Faktor war auch der Verrat der Kolonialmächte an ihren ehemaligen arabischen Verbündeten nach dem 1. Weltkrieg. Im Zuge des Kampfes gegen das Osmanische Reich hatte man ihnen die staatliche Unabhängigkeit versprochen. Dieses Versprechen wurde leichten Herzens gebrochen. Großbritannien und Frankreich teilten den Nahen Osten zwischen sich auf.
Die willkürlich gezogenen Grenzen teilten Stammesgebiete und Religionsgruppen in künstliche Strukturen, die später zu fragilen Staaten wie Irak und Syrien wurden. Das Gebiet des heutigen Saudi-Arabien hatte aber Glück und wurde nicht besetzt, es war schlicht zu arm, um von Interesse zu sein. Die Ölvorkommen waren noch nicht entdeckt und der Großteil des Landes nur Wüste. Hier konnte sich 1925 der Stamm der Sauds militärisch gegen die Haschimiten durchsetzen. Dabei wurden auch die zentralen muslimischen Stätten in Mekka und Medina besetzt. Nach weiteren Eroberungen der Sauds kam es 1932 zur Gründung des neuen Staates Saudi-Arabien.
Der Stamm der Sauds war bereits bis in 18. Jahrhundert hinein eng mit der wahabitischen Auslegung des Islam verbunden, einer fundamentalistischen sunnitischen Strömung, jetzt wurde sie hier zur Staatsreligion. Nach der Entdeckung immer größerer Ölvorkommen begann der wirtschaftliche Aufstieg, doch gesellschaftlich gehört Saudi-Arabien bis heute zu den rückständigsten Staaten der Welt. Als Grundlage des Rechts gilt eine strenge Auslegung der Scharia. Erst 1962 wurde die Sklaverei abgeschafft und im Wesentlichen durch weitgehend rechtlose Gastarbeiter ersetzt.
Die saudische Herrscherfamilie begann mit leichten Reformen, auch weil man das Bündnis mit den USA suchte, um die Ölquellen profitabel auszubeuten. So wurden 1966 erste Schulen für Mädchen eingerichtet und es gab bis zum Schicksalsjahr 1979 auch weibliche Nachrichtensprecher. In diesem Jahr besetzten gut bewaffnete Islamisten unter ihrem religiösen Führer al-Qahtani die Kaaba in Mekka, das wichtigste islamische Heiligtum der Welt. Mehrere Versuche saudischer Truppen, die Kaaba mit leichten Waffen zurückzuerobern, schlugen fehl. Um schwere Waffen einsetzen zu dürfen, ohne den religiösen Zorn der Massen auf sich zu ziehen, zog der saudische Herrscher König Chalid al-Saud die wichtigsten Religionsgelehrten zurate.
Diese waren bereit, ihm eine Erlaubnis für den Sturm auf die Kaaba zu geben, aber sie verlangten einen hohen Preis, den die Welt bis heute bezahlt. Frauen wurde verboten, als TV-Moderatorinnen aufzutreten, die inoffizielle Tolerierung von Alkoholkonsum wurde eingestellt und das wichtigste: es werden seitdem gigantische Summen in die wahabitische Missionierung gesteckt. Mit den Geldströmen aus saudischem Öl konnte sich die fundamentalistische Spielart des Islam noch stärker ausbreiten. Der blutige Kampf um die Kaaba kostete je nach Quelle zwischen 330 und 1.000 Menschen das Leben. Er schwächte das Ansehen des saudischen Königs nachhaltig und stärkte den Einfluss der erzkonservativen Religionsgelehrten. Gelegentlich versucht sich die saudische Königsfamilie an sehr sanften Reformen, aber immer mit einem ängstlichen Blick auf die Wünsche der Geistlichkeit. Frauen haben daher in Saudi-Arabien nur eingeschränkte Rechte und dürfen z.B. nicht Auto fahren und brauchen außerdem für viele Sachen die Genehmigung ihres männlichen Vormunds.
Saudi-Arabien, guter Verbündeter der USA und auch Nutznießer der Lieferung modernster Waffen aus Deutschland, entwickelte sich seit 1979 immer mehr zur Brutstätte des internationalen Terrors. Osama bin Laden war nicht zufällig ein Saudi, sein Weltbild, das ihn zum Terroristen machte, wurde hier geformt. Die saudische Missionierung hat die Radikalisierung in weiten Teilen des sunnitischen Islam verstärkt. Meist sind es Minderheiten innerhalb der islamischen Gemeinschaften, doch oft mit großem Einfluss und auch einem großen Gefahrenpotenzial. Von Pakistan bis in die Pariser Vororte sind die Auswirkungen zu spüren. Auch deutsche Moscheen werden mit saudischem Geld unterstützt, bekannt sind die Anhänger des Wahabismus hierzulande als Salafisten. Zu den Förderern des Wahabismus gehört aber auch Katar, wo dieser ebenfalls Staatsreligion ist und das nicht nur über den Staats-Fernsehsender „Al Jazeera“ Gruppierungen wie die Muslimbruderschaft unterstützt. Der Wahabismus ist der ideale ideologische Nährboden für den islamischen Staat. Daher verwundert es nicht, dass es auch im Rechtssystem viele Gemeinsamkeiten zwischen dem IS und Saudi-Arabien gibt. Beide orientieren sich an einer ähnlich strengen Auslegung der Scharia.
So gibt es sowohl im IS als auch in Saudi-Arabien die Todesstrafe für:
- Gotteslästerung
- Homosexualität
- Abwendung vom Islam
Vollzogen wird die Todesstrafe größtenteils öffentlich mit dem Schwert. Alkoholkonsum und Sex vor der Ehe werden mit der Peitsche bestraft, Diebstahl mit der Amputation der Hand, Ehebruch mit Steinigung. Solche Vorstellungen sind mit Demokratie und Menschenrechten nicht ansatzweise vereinbar und doch ist der IS unser Feind, Saudi-Arabien aber unser guter „Verbündeter“. Gegen die wahabitische Missionierung in Europa muss entschieden vorgegangen werden. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass diese radikale Form des Islam nur eine Spielart ist. Nicht jeder Bau einer Moschee ist der Untergang des Abendlandes. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland gehören nicht fundamentalistischen Strömungen wie dem Wahabismus an. Das sollte man nicht vergessen. Auch sollte man nicht durch Ausgrenzung die gemäßigten Muslime in die Arme der Radikalen treiben. Im Gegenteil: Sie sind unsere Verbündeten im Kampf gegen die Extremisten. Doch radikale Strömungen müssen entschieden bekämpft werden. Dazu gehört es, die Finanzierung der Salafistengemeinden mit saudischem Ölgeld zu unterbinden. Auch die Schließung radikaler Moscheen muss es im Einzelfall geben.
Zudem dürfen keinerlei Waffen mehr an Saudi-Arabien verkauft werden. Eigentlich müsste Saudi-Arabien mit ähnlichen Sanktionen belegt sein, wie bis in jüngster Vergangenheit der Iran. Selbst wenn der IS besiegt wird, solange Saudi-Arabien weiter ungehindert seinen Fundamentalismus mit viel Ölgeld in die Welt exportieren kann, wird es weitergehen. Dabei ist auch Saudi-Arabien nur ein Teil des riesigen Problems, vor dem die islamische Welt steht. Der Islam braucht starke Reformbewegungen, die einer weiteren Radikalisierung entgegenwirken. Ohne eine Modernisierung wird die islamische Welt nicht aus ihrer Krise finden. Doch egal, wie es sich entwickelt, eine schnelle Lösung wird es in diesem großen Krieg der islamischen Welt nicht geben.