(Democracy by Nick Youngson | CC BY-SA 3.0 | Alpha Stock Images | Original)
Die demokratiezersetzende Kraft von Verschwörungserzählungen konnten wir am 6. Januar 2021 in den USA sehen, als vornehmlich Anhänger:innen des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, die sich zu einem großen Teil aus rechtsextremen Bewegungen und Gruppen wie Alt-Right, QAnon und Proud Boys speisten, gewaltsam das US-Kapitol stürmten: das Herz der Demokratie in den USA. Seinen Ursprung hatte dieses demokratiefeindliche Ereignis in der Weigerung von Trump, seine Niederlage gegen Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 einzugestehen. Bewusst setzten er und seine republikanischen Unterstützer:innen die Verschwörungserzählung vom angeblich massiven Wahlbetrug in die Welt und führten diese Behauptung trotz der Fakten, die diese klar widerlegten, fort. In der Folge reichte Trump unzählige Klagen ein – ohne Erfolg. Selbst der damalige US-Justizminister William Barr, zuvor immer ein strammer Verteidiger von Trump, kam nicht drumherum zu erklären, dass sein Ministerium keine Beweise für einen großflächigen Wahlbetrug gefunden habe.
Doch ungeachtet dessen wiederholten Trump und seine republikanischen Unterstützer:innen – darunter auch US-Kongressmitglieder wie der texanische US-Senator Ted Cruz – unbeirrt und öffentlichkeitswirksam immer wieder die Lüge vom angeblichen Wahlbetrug bis zur förmlichen Bestätigung des Sieges von Joe Biden, die für den 6. Januar 2021 vorgesehen war. Am selben Tag wiederholte Trump vor seinen Anhänger:innen in der Nähe des Weißen Hauses den Vorwurf und forderte diese auf, zum US-Kapitol zu ziehen.
Mit der über einen längeren Zeitraum verbreiteten Verschwörungserzählung vom großen Wahlbetrug und einer heftigen Stimmungsmache im Vorfeld wurde bereits der Boden für die schrecklichen Ereignisse bereitet, die sich dann schließlich kurze Zeit später vor und im US-Capitol abspielten. Im Sinne der Demokratie war es richtig, dass der US-Kongress dennoch schon am 7. Januar wieder zusammenkam und die Ergebnisse des Electoral College bestätigte. Auch der zuvor immer fest an der Seite von Trump stehende damalige US-Vizepräsident Mike Pence hielt sich dabei an die Vorgaben der Verfassung. Trotzdem fehlte nicht viel zu einer noch größeren Katastrophe …
Wie kommt es, dass Menschen die Lügen von Scharlatanen und Demokratiefeinden wie Trump glauben? Dafür gibt es vielschichtige Beweggründe. Diese werden sehr überzeugend von Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ erläutert, das ich mir im Mai 2020 zulegte und das auch das Aufflammen von Verschwörungserzählungen im Zuge der Corona-Pandemie aufgreift. Ich schätze die Aufklärungsarbeit der Beiden rund um Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen und Verschwörungsideologien. Und deshalb verweise ich auch gerne auf ein Interview von „BR KulturBühne“ mit Katharina Nocun vom 26. Januar 2021. Darin heißt es unter anderem zu den Auswirkungen von Verschwörungserzählungen:
„Dieser Blick in die Geschichte zeigt auch, dass solche Erzählungen immer schon als Mittel in der Politik eingesetzt wurden, um starke Feindbilder zu generieren, um Menschen aufzuhetzen, um Medien zu diskreditieren. Also Stichworte wie ‚Lügenpresse‘, die wir heute von Querdenken-Demonstrationen kennen, oder ‚Fake News‘ aus dem Mund von Donald Trump, sind eigentlich nichts anderes als dieses alte Narrativ von einer angeblichen Medienverschwörung, mit der man seine Anhänger vor Kritik immunisiert. […] In dem Moment, wo Menschen an eine große Verschwörung glauben, ist der Boden für Diskussionen vergiftet. Man sieht den anderen nur noch als Feind, als Verschwörer. Das ist unglaublich gefährlich für die Demokratie.“
Das ist ein wichtiger Punkt: Eine gut funktionierende Demokratie lebt von faktenbasierten Informationen, evidenzbasierten Entscheidungen und einem offenen Diskurs. Wenn immer mehr Menschen in verschwörungsmythische Parallelwelten abgleiten, dann wird das zur Gefahr für die Demokratie. Das äußert sich besonders krass darin, wenn Leute beispielsweise bzgl. der Pandemie-Maßnahmen von einer Corona-Diktatur sprechen. Was für eine irrsinnige und geschichtsvergessene Behauptung! Solche Begrifflichkeiten und Desinformation werden natürlich auch ganz bewusst gestreut von politischen Akteur:innen zur Verwirklichung ihrer eigenen (antidemokratischen) Agenda.
Da wird dann auch gerne alles in einen Topf geworfen und pauschal verurteilt, um ein Maximum an Misstrauen zu schüren und demokratische Institutionen zu delegitimieren: Diesem Muster folgend ist bei Verschwörungserzählungen auch häufig von einer im Geheimen agierenden Elite die Rede, die alles steuert. Dagegen ist eine fundierte Kritik an staatlichem Handeln sehr wichtig und wesentlicher Bestandteil einer gut funktionierenden Demokratie: Diese Rolle übernehmen unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure. Wenn z.B. die Organisation LobbyControl ihre Forderung nach einem verpflichtenden Lobbyregister mit Verweis auf politische Skandale wie die Maskenaffäre bei CDU/CSU untermauert, dann ist das faktenbasiert. Und auch konstruktiv: Denn zugleich wurde ein Forderungskatalog an Maßnahmen in die Debatte eingebracht, wie einer Lobbykratie entgegengewirkt werden kann. Solch ein Vorgehen ist gewissermaßen ein Dienst an der Demokratie!
Um sich als Einzelner im Wust von Falschinformationen und auch Desinformation nicht zu verirren, bedarf es eines wachen und kritischen Geistes. Aber auch des Bewusstseins dafür, dass wir alle anfällig dafür sein können. Insofern sind ebenso die eigenen Meinungen und Überzeugungen stets kritisch zu hinterfragen – und natürlich die Quellen, aus denen ich meine Informationen beziehe und der Kontext, in dem sie stehen. Das Thema ist so vielschichtig, dass es in einem Blogbeitrag nur angerissen werden kann. Daher meine Empfehlung an alle, die tiefer in die Materie eintauchen wollen, sich das Buch „Fake Facts“ von Katharina Nocun und Pia Lamberty zuzulegen (hier ein sehenswertes Video dazu).
Update vom 2. November 2022
Im Zusammenhang mit der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Desinformation muss unbedingt auch auf die Rolle des Putin-Regimes eingegangen werden, das gerade einen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Das Putin-Regime nimmt mit seiner Propaganda und seinen Lügen zu verschiedensten Themen schon lange großen Einfluss auf Politik und Öffentlichkeit in Europa und versucht damit unsere Demokratien zu destabilisieren. Das bestätigt auch ein aktuelles „Research Paper“ vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Demnach ist hierzulande die Zustimmung zu prorussischen Verschwörungserzählungen signifikant angestiegen. Die Konklusion: Desinformation ist ein Angriff auf die Demokratie, dem wir begegnen müssen! Empfehlen möchte ich auch die Kolumnen Putin muss geglaubt haben, er könne mit dem Westen alles anstellen und So schafften es Putins Lügen bis in den Bundestag des Journalisten und Fachhochschulprofessors Christian Stöcker. Darin heißt es unter anderem:
„Ein weiteres Mal sei daran erinnert, dass der Kampfruf »Lügenpresse« in Deutschland nicht etwa erst mit Pegida eine Renaissance erlebte, sondern schon vorher: im Kontext der »Friedensmahnwachen«, in denen kurioserweise der Nato die Schuld am Einmarsch Russlands auf der Krim gegeben wurde. Das war im Frühjahr 2014. Die plötzliche, ja missionarische Russlandbegeisterung, die sich da unter deutschen Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretikern und Esoterikern plötzlich zeigte, war schon damals ausgesprochen auffällig. Daran hat sich auch nichts geändert, als diverse zentrale Figuren dieser Szene von damals später bei Pegida und in der Folge bei den »Querdenkern« wieder in Erscheinung traten.“
Verbunden mit der politischen Einflussnahme durch Russland ist das Ergebnis einer Recherche von correctiv.org sehr lesenswert: Gazprom-Lobby – Wie Russland deutsche Politiker, Manager und Anwälte einspannte, um Deutschland von russischem Gas abhängig zu machen.
Update vom 7. Dezember 2022
Eine Gruppe von Reichsbürger:innen und Querdenker:innen soll einen Staatsstreich geplant haben. Dazu fand die größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Spätestens jetzt sollte jedem klar sein, wie ernst die Situation rund um rechtsextremistische Aktivitäten in Deutschland ist. Pia Lamberty, Geschäftsführerin des von mir finanziell unterstützten Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), gab dazu hier ein aufschlussreiches Interview ab. Unter den Festgenommenen ist auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, die der Reichsbürger:innen-Ideologie nahesteht.