Ab heute können EU-Bürger über nationale Grenzen hinweg gemeinsam eine Bürgerinitiative in die Wege leiten, um ein EU-Gesetzgebungsverfahren anzuregen. Mehr Demokratie e.V. ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass dieses neue Element direkter Demokratie auf EU-Ebene eingeführt wurde. Dazu ein Interview mit Bundesvorstandssprecher Dr. Michael Efler.
Die Aktivisten von Mehr Demokratie e.V. hatten viel Zeit und Energie darin investiert, das möglich zu machen, was am heutigen Tage endlich in Kraft trat: die Europäische Bürgerinitiative (EBI). Damit wird nicht nur die Bürgerbeteiligung auf EU-Ebene gefördert und ausgebaut, sondern auch die Herausbildung einer länderübergreifenden politischen Öffentlichkeit. Eine erfolgreiche EBI hat zwar nur einen rein empfehlenden Charakter, da die Europäische Kommission nicht verpflichtet ist, diese umzusetzen. Allerdings kann der Wille von Millionen EU-Bürgern realpolitisch sehr wirkungsmächtig sein und nicht so einfach vom Tisch gewischt werden. Insofern ist die EBI in jedem Falle ein Fortschritt bei der Etablierung direktdemokratischer Verfahren in der Europäischen Union. Ich sprach dazu mit dem Vorstandssprecher von Mehr Demokratie Dr. Michael Efler, der für diesen Erfolg mitverantwortlich ist.
Ab heute kann jeder EU-Bürger eine EBI in die Wege leiten. Du hast gemeinsam mit Mehr Demokratie e.V. und anderen dafür gesorgt, dass die EBI in die EU-Verfassung aufgenommen wurde. Bist Du mit dem erzielten Ergebnis zufrieden?
Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass mit der EBI ein erster Schritt in Richtung direktdemokratischer Mitbestimmung auf EU-Ebene erreicht worden ist. Dies haben wir ja vor zehn Jahren bereits in den Entwurf des EU-Verfassungsvertrages herein gekämpft, auch wenn wir uns damals natürlich für EU-weite Volksbegehren und Volksentscheide eingesetzt haben. Dafür war die Zeit aber noch nicht reif.
Worin liegt der Fortschritt in puncto politischer Partizipation der Bürger?
Die EBI könnte vielleicht dazu beitragen, dass eine europäische politische Öffentlichkeit entsteht. Das Fehlen dieser Öffentlichkeit ist eine der größten EU-Demokratiedefizite überhaupt und schmälert in signifikanter Weise die Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft. Außerdem wird die EBI zu einer stärkeren Europäisierung der Zivilgesellschaft beitragen, weil nur so deren Anforderungen erreicht werden können. Ich bin allerdings eher skeptisch, was das tatsächliche Veränderungspotenzial in Bezug auf die EU-Politik angeht. Denn erstens ist die Europäische Bürgerinitiative ja nur ein Vorschlagsrecht an die EU-Kommission. Zweitens sind keine vertragsändernden EBI zulässig, woran viele Initiativen scheitern werden. Und drittens sind die Hürden des Verfahrens (eine Million Unterschriften aus einer signifikanten Zahl von Mitgliedstaaten, Zwang zur Gründung eines Bürgerausschusses mit Mitgliedern aus 7 Mitgliedstaaten, Angabe der Personalausweisnummer in 18 von 27 Mitgliedstaaten) erheblich.
Umreiße bitte kurz die Voraussetzungen zur Einleitung einer EBI.
Zunächst müssen die Initiatoren prüfen, ob es sich um ein Thema handelt, das in die Kompetenz der Europäischen Union fällt und nicht den EU-Verträgen widerspricht. Dann muss ein Bürgerausschuss gebildet werden, der aus mindestens sieben Bürgern aus sieben verschiedenen EU-Mitgliedstaaten besteht. Dieser Bürgerausschuss ist der offizielle Ansprechpartner für die EU-Kommission. Vor der Unterschriftensammlung muss dann die Registrierung der EBI beantragt werden. Wenn dies gelungen ist, kann mit der Sammlung von mindestens einer Million Unterschriften aus einem Viertel der EU-Mitgliedstaaten begonnen werden. Wenn dies Erfolg gehabt hat und die Unterschriften durch die zuständigen Mitgliedstaaten geprüft worden sind, wird die Initiative der EU-Kommission vorgelegt. Diese entscheidet innerhalb von drei Monaten, ob sie das Anliegen aufgreift oder nicht. Ausführliche Informationen zum Ablauf einer EBI gibt es hier.
Es sind bereits einige Initiativen, z.B. zum Recht auf Wasser, zur Energiepolitik oder zur Vorratsdatenspeicherung, angekündigt. Welche politischen Inhalte bzw. Themen dürfen in einer EBI verpackt werden, welche nicht? Und wann kann mit einer erfolgreichen Initiative gerechnet werden?
EBI müssen im Rahmen der Zuständigkeit der EU-Kommission und im Rahmen der EU-Verträge sein. Das heißt, die derzeitigen Kompetenzen der EU dürfen durch eine EBI nicht ausgedehnt werden. Ich habe große Sorge, dass viele Initiativen diese erhebliche Einschränkung nicht beachten werden. Beispielsweise ist die Wahl der Energieträger eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Der zeitliche Ablauf einer EBI ist so: Für eine seriöse Vorbereitung würde ich mindestens sechs Monate einplanen.
Die Registrierung einer Initiative braucht maximal zwei Monate, danach kann maximal zwölf Monate gesammelt werden. Und dann dauert es maximal weitere sechs Monate, bis die Unterschriften geprüft worden sind und die Kommission sich inhaltlich mit einer Initiative beschäftigt hat. Für den Fall des Aufgreifens einer EBI durch die Kommission gibt es keine Fristen für die Umsetzung. Dies bedeutet also, dass Initiativen, die die Zeit bis zum 1.4.2012 zur Vorbereitung genutzt haben, frühestens im Herbst 2013 mit der Antwort der Kommission rechnen können.
Die EU-Kommission entscheidet darüber, ob eine EBI angenommen wird oder nicht, da diese das alleinige Initiativrecht für EU-Gesetzesvorhaben hat. Ist diese Praxis nicht undemokratisch? Sollte die Entscheidung über die Annahme und Umsetzung einer EBI nicht allein in den Händen des EU-Parlaments liegen?
Das alleinige Initiativrecht der Kommission halte ich schon lange für vordemokratisch. Natürlich braucht auch das EU-Parlament ein solches Recht. Dafür wählen wir es ja schließlich. Um dies zu erreichen, müsste allerdings der EU-Vertrag geändert werden.
Welche Forderungen erhebt Mehr Demokratie zur Weiterentwicklung der EBI?
Bereits 2015 wird die EBI evaluiert. Hier wird es darum gehen, das Verfahren zu vereinfachen und Hürden abzubauen. Dafür müssen natürlich vor allem die praktischen Erfahrungen, die in den nächsten Jahren mit dem Instrument gemacht werden, ausgewertet werden. Mittelfristig geht es Mehr Demokratie darum, die EBI zu einem echten direktdemokratischen Instrument weiterzuentwickeln. Das bedeutet, dass das Verfahren nicht bei der EU-Kommission endet, sondern dass sich auch die anderen Gesetzgebungsorgane der EU – das EU-Parlament sowie der Ministerrat – zwingend mit einer EBI beschäftigen müssen. Wenn diese eine Annahme der EBI ablehnen, muss eine europaweite Volksabstimmung möglich werden, in der dann darüber entschieden wird, ob der Vorschlag der Initiative angenommen wird oder nicht. Das Ergebnis ist dann natürlich verbindlich – so wie beim Volksentscheid in den deutschen Bundesländern.